24. August 2008:
Gegen 4 Uhr hören wir im Halbschlaf aus der Ferne die Rufe von den umliegenden Minaretten. Wir stehen gegen 8 Uhr auf, klar es eilt überhaupt nichts, wir wollen heute den Tag am See verbringen und ausspannen. Mit Nico und Holm frühstücken wir im luxuriösen Speisesaal des Hausbootes. Heute versuchen wir nach langer Zeit mal wieder mit einem Spiegelei, mal sehen wie uns das bekommt. Das Frühstück ist wie immer in Indien: einfach aber geschmacklos, das Spiegelei ist fettig gebraten, die Marmelade schaut aus wie rote Beete Saft mit Gelee aus der Dose. Aber inzwischen müssten unsere Mägen das ja gewohnt sein. Achat stellt uns eine große Dose Nescafé auf den Tisch. So können wir uns wenigstens den Café so zubereiten wie wir möchten. Danach passiert erstmal gar nichts.

Wir kriechen auf die Hausbootveranda und lassen uns die Vor- mittagssonne ins Gesicht scheinen. Eine Zeitlang liegen wir so herum, blättern in einer Zeitschrift und dösen. Irgendwann kommt da natürlich Langeweile auf. Wir machen einen kleinen Spaziergang durch den Garten. Als Achat uns sieht möchte er uns gleich den Handicraft- Shop zeigen. Wir winken ab – keine Lust. Jetzt schauen wir mal, ob von den anderen jemand zuhause ist. Vor dem Hausboot von Max, den beiden Japanern und Rick kommt uns Max entgegen. Er meint in Srinagar ist Ausgangssperre. Deshalb dürften wir auch nicht in die Stadt rein. Außerdem hat er bisher die Genehmigung für die morgige Weiterfahrt noch nicht erhalten. Uns ist das erstmal egal. Wir möchten heute ausspannen und was morgen ist, wen juckt das schon?

 

Irgendwie hat Werner auch bereits mit der Motorradtour abgeschlossen. Die Rückfahrt nach Chandigar bedeutet weitere 900 km zu fahren, aber nicht mehr im schönen Himalaja, sondern auf der Strecke die von Srinagar über Dharamsala nach unten führt. Da dies die Hauptversorgungsstrecke ist, müssen wir mit viel Verkehr rechnen, vor allem natürlich mit Lkws. Außerdem geht es ab hier nur noch nach unten, d.h. es wird dort sicher immer heißer und feuchter. Werner sagt zu Steffi, dass er nichts dagegen hätte, wenn die Weiterfahrt nicht klappt und sie uns ausfliegen müssten. Wir betreten das Hausboot von Max. Auch eine sehr luxuriöse Sache. Sie haben auch Kronleuchter an der Decke, geschnitzte Wände und Decken, viel Prunk. In ihrem Saloon kommt uns ein älterer Moslem entgegen, wohl der Besitzer der Hausboote. Er erklärt uns, dass die Hindus die Straße gesperrt hätten, die hier herauf führt um die Moslems zu isolieren. Das würden sie immer machen, sobald in Kaschmir Unruhen sind. Somit ist der Nachschub zu den armen Moslems, die nichts lieber hätten als den Frieden mit den Hindus, abgeschnitten. So kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn… bla bla bla – er labert uns zu. Steffi wird es zuviel, sie setzt sich auf den Fußboden. Irgendwann kommt Max hinzu und wir nutzen die Gelegenheit die Labertasche an Max zu übergeben.

 

Wir gehen jetzt mal ans andere Ende des Gartens und kommen an das Hausboot von Hanjörg und Martin. Die beiden hocken ebenso gelangweilt auf der Veranda ihres Hausbootes. Auch hier betreten wir die noblen Räumlichkeiten um den beiden eine Audienz abzustatten. Sie empfangen uns im großen Saloon und hofieren uns sogleich auf die Veranda. Deren Veranda ist viel kleiner als unsere, aber sie sind ja auch nur zu zweit auf dem Hausboot. Wir sitzen eine Weile als ein schwimmender Händler mit Pralinen und Lebkuchen vorbeikommt. Hanjörg kauft etwas. Steffi sitzt auf den dicken Polstern und dreht ihren Kopf in die Sonne. Die Sonnenbrille cool auf den Haaren. Platsch, da liegt die Sonnenbrille im Wasser des Sees. Aber zum Glück ist sie auf einem Seerosenblatt gelandet. Hanjörg springt über die Brüstung, reißt diese dabei halb mit sich, und rettet Steffis Sonnenbrille und sich selbst. Damit ist er natürlich der Held des Tages. Was für eine Aufregung! Aber so ist das eben, in Zeiten der Ausgangssperre, wenn sonst so gar nichts passiert. Da wir nun wirklich keine weitere Aufregung mehr vertragen, begeben wir uns zurück in die Sicherheit unseres Hausbootes. Unterwegs erfahren wir, dass Max am Nachmittag ein paar Shikaras mieten möchte um damit auf dem See herum zu paddeln. Der See ist von der Ausgangssperre ausgenommen. Wir essen etwas zu Mittag und um 14 Uhr geht’s los. Alle sind dabei, da jedem stink langweilig ist.

Max hat 3 Shika- ras gemietet. Jedes Shikara hat einen Bootführer, der auch paddelt. Erstmal geht es quer über den Nagin-See. Unter einer Brücke baden Kinder, dies ist auch die Grenze zum viel größeren Dal-See. Hier hat das Wasser Bade- qualität, man sieht bis zum Grund. Es kleben dauernd irgendwelche fliegenden Händler an unseren Booten. Rick spricht mit einem der Holzwaren und Schnitzereien verkauft. Die Ware anzuschauen bedeutet schon sich außerordentlich dafür zu interessieren. Mit einem Händler zu sprechen heißt dann, man möchte alle seine Waren kaufen und sein Boot gleich noch dazu. Der arme Rick, den kriegt er nicht mehr von der Backe. Eine Weile schon hat er ein Holzkistchen in Händen, das nur trickreich zu öffnen ist und das der Händler nicht mehr zurücknehmen möchte. Er fragt nach dem Preis, 900 Rupien soll es kosten. Es geht ewig hin und her. Am Ende ersteht er es für 400. Dann kommen die Schmuckhändler,  ans Boot¸ dann kommen die Händler für Paschminaschals und Stoffe, dann kommen die Händler für Süßigkeiten usw. Die einzige Abhilfe ist stoisch über den See zu starren, dann verschwinden sie zügig  wieder. Am Rand des Sees gibt es 'schwimmende Gärten'. Jasminblüten, aber auch  Bohnensträucher und Zucchinisträucher gedeihen hier. Es geht durch kleine Kanäle bis zum schwimmenden Markt. Hier wird Gemüse von Händlern auf Booten verkauft. Man sieht uns etwas komisch an. Danach paddeln wir durch eine kleine Ansiedelung, es muss ein Vorort von Srinagar sein. Frauen hocken auf Stegen und waschen die Wäsche, ab und zu sehen wir einen Laden, der Lebensmittel verkauft. Bestimmt sind die Häuser hier uralt, teilweise schon verfallen. Die Abwässer der hier lebenden Menschen werden ungefiltert in die Kanäle geleitet, es stinkt erbärmlich. Bald  verlassen wir diese Ecke des Sees und erreichen nach insgesamt vier Stunden wieder den Nagin-See. Dort sehen wir Reiher, die im Wasser stehend Beute machen wollen.

Viele bunte Eisvögel schwirren herum, kleine Blaue, große Graue und ganz große, bunte. Die sind jedoch sehr selten und äußerst scheu. Auch Wasserläufer, also Vögel mit ganz breiten Füßen, tapsen über die Seerosenblätter. Über uns kreisen die Fischadler. Fette Enten säumen unseren Wasserweg. Die Tour geht reichlich lange. Die Sonne brennt unerbittlich auf das Boot. Jedem reicht es langsam. Alle haben Durst und möchte runter von der Shikara. Am Ende findet auch noch der lästigste aller Händler, er verkauft Döschen, zu uns. Er klebt ewig an unserer Shikara und hat sich eine Mitleidsnummer einfallen lassen. Er ist der arme Kaschmiri, der heute noch keine  einzige Rupie verdient hat. Dabei muss er doch eine ganze Großfamilie versorgen. Darüber hinaus ist er nicht nur der Händler dieser Döschen, nein, er stellt das Zeug auch noch selbst her. Bei Steffi schafft er es Mitleid zu erregen. Sie meint er sei der einzig Ehrliche gewesen heute. Werner denkt es war der, der heute am Besten geschwindelt hat. Irgendwann erreichen wir trotzdem unser Hausboot. Alle sind froh von dieser „Händlertour“ zurück zu sein. Im Großen und Ganzen war es doch ganz interessant. So haben wir wenigstens etwas vom See gesehen und auch ein wenig wie die Menschen hier leben. Auch die Tierwelt hat uns gut gefallen. Max schlägt vor heute Abend unter dem großen Zelt im Garten zu essen. Aber keiner findet seinen Vorschlag gut, jeder isst lieber auf seinem eigenen Hausboot.

Keiner hat Lust darauf diesen Max heute noch mal zu sehen. Wir essen mit Nico + Holm zusammen, er gibt mal wieder Hühnchen mit Reis und Kartoffeln. Am Essen merkt man deutlich, dass der Nachschub nicht mehr funktioniert. Mit ausreichend Getränken sitzen wir abends auf der Veranda und lauschen den Muezzin, die durch die laue Sommernacht von ihren Minaretten plärren, aber wahrscheinlich sind es eh nur Bänder, die zeitgesteuert loslegen. Danach, erst leiser, aber dann immer aufbrausender hören wir das Geschrei von Protestanten. In Srinagar und auch gegenüber am anderen Ufer scheint richtig was los zu sein. So wie sich das anhört sind einige hundert Menschen auf der Straße und machen Rabatz. Es klopft und Max tritt ein. Er meint wir könnten gar nicht losfahren. Eigentlich wollten wir uns um 4 Uhr in der Früh hier rausschleichen, aber er hat keine Erlaubnis erhalten und nach diesem Radau würde morgen wohl die Ausgangssperre so verschärft werden, dass wir beim ersten Kontrollposten zurückgewiesen würden. Wenn wir dann um 9 oder 10 Uhr zurück durch Srinagar müssten könnte das durchaus gefährlich für uns werden. Sein Plan ist erstmal abzuwarten was der morgige Tag so bringt, die Füße hochzulegen und blöd zu schauen. Ihn als Vorbild wird uns das sicher nicht schwer fallen.

25. August 2008:
Morgens um 4 Uhr geht’s wieder los. Die Muezzin plärren aus allen Lautsprechern über den See, da ist an Schlaf nicht mehr zu denken. Das Ganze ist nach 45 Minuten erledigt. Gleich danach wird es langsam hell, d.h. jetzt fangen die Vögel an zu zwitschern, aber wie! Einige Raben auf dem Dach krächzen grauenhaft laut. Nachdem sich alle da draußen ausgetobt haben schlafen wir irgendwann doch wieder ein. Um 8 Uhr 30 klopft es an unsere Tür. Es ist Achat, der uns darauf hinweisen möchte, dass es nun wohl mal an der Zeit wäre zu frühstücken. Werner geht zur Tür. Achat meint nur „Breakfast“. Okay, wir quälen uns aus dem Bett und schleichen zum Speisesaloon. Am Frühstücktisch sitzen bereits Holm + Nico. Die beiden sind begeistert, da es heute Dal-Pfannkuchen gibt. Sie sagen wir sollten das besser nicht probieren, es sei grauenhaft. Also Nescafé pur. Danach geht’s raus auf die Veranda, was sonst? Wir räkeln uns von links nach rechts.

Es ist Aaaaaaarsch- langweilig, keiner weiß wie er den heutigen Tag rumbringen soll. Von den gestrigen Protestanten ist überhaupt nichts mehr zu hören, es ist totenstill. Wir denken, dass das Militär die Ausgangssperre rigoros durchsetzt. Das heißt sobald jemand auf der Straße ist wird er weggeräumt. Zurück im Zimmer sehen wir, dass Achat die Handtücher gewechselt hat. Gestern hatten wir lila Handtücher, heute haben wir braune. Dafür haben Holm und Nico heute lila Handtücher und gestern hatten sie braune. Hmm, wir hoffen Achat hat die nicht nur ausgetauscht. Gegen Mittag besuchen wir noch mal Hanjörg + Martin auf deren Hausboot. Die beiden haben schön langsam auch ein Problem. Bisher konnten sie sich ganz gut mit Bier und Whiskey zudröhnen aber jetzt ist der Nachschub völlig zusammengebrochen, sie sitzen also auf dem Trockenen. Steffi entdeckt Hanjörgs Indien Reiseführer und nimmt ihn mit zu unserem Hausboot. Dort macht sie sich’s im Saloon bequem und schreibt interessante Infos zu Varanasi heraus, dort möchten wir ja auch noch hin. Holm näht sich ein paar Knöpfe an und Nico hat ein Kreuzworträtselheft von zu Hause mitgebracht, der hat’s gut. Werner versucht die fotogenen Eisfischer zu filmen, die manchmal vom Bootsrand aus auf Jagd gehen. Da erscheint Max auf der Bildfläche. Er kündigt uns an, dass wir morgen nach Neu Delhi zurückfliegen werden. Er hat Flugtickets besorgt. Die Straße ist ausnahmslos gesperrt und im Moment kann man Kaschmir nur noch auf dem Luftweg verlassen. Werner freut sich. So hat er sich das gewünscht, erst auf dem Boot schön entspannen und dann rausfliegen. Max möchte am Nachmittag noch mit Asia Bike Travel telefonieren wie es danach weitergehen soll. Steffi versucht auch Zuhause anzurufen. Seit wir im Himalaja sind hat ihr Handy kein Netz mehr. Also stapft sie mit Achat zum Office der Hausboote, dort gibt es einen Festnetzanschluss. Doch es scheitert bereits an der Leitung. Sie bekommt kein Amt. Achat sagt er würde Steffi nach draußen begleiten. Ungefähr 10 Minuten zu Fuß sei eine öffentliche Telefonzelle. Da Ausgangssperre herrscht gehen wir das Risiko einer Verhaftung jedoch nicht ein.

 

Also besuchen wir doch mal den Handicraft-Shop, der sich neben dem Garten befindet, Holm und Nico kommen auch mit. Der Shop ist voll mit schönen Stücken: kunstvolle Lackdosen, Tabletts, Seidentücher, Pasminaschals, Teppiche, usw. Wir lassen uns einiges zeigen. Leider ist es im Shop ziemlich dunkel. Als die Verkäufer merken, dass wir Interesse haben etwas zu kaufen, werfen sie den Generator an. Rick hat hier ja gestern auch schon einen Teppich gekauft. Der Ventilator schwirrt an der Decke und mit Licht schaut die Ware doch gleich viel besser aus. Die Verkäufer stellen ihre Ware vor uns aus. Schließlich öffnet er auch die Vitrine in der sich die schöneren Sachen befinden. Wir sind nicht abgeneigt ein paar schöne Lackdosen zu kaufen. Eine sehr fein bemalte rote Lackdose sticht uns besonders ins Auge. Vor uns türmen sich also drei Lackdosen auf als wir zu verhandeln beginnen. Der Verkäufer startet bei 7.900 Rupie für die drei, wir halten mit 3.600 dagegen. Dann 7.500 zu 3.600, dann 7.000 zu 3.600, dann 6.500 zu 3.800, usw. usw. Schon nach 45 Minuten handeln sind wir uns einig: Für 4.500 wechseln die Lackdosen ihren Besitzer. Am Ende lächelt jeder und meint er hätte ein gutes Geschäft gemacht. Steffi ist inzwischen in rote Seidengewänder gestiegen. Aber dafür ist sie zu schlank, die sind für ältere, dicke Inderinnen geschneidert. Rick kommt in den Laden. Er zeigt mir die Größe seines Teppichs den er hier gekauft hat. Natürlich versuchen die Verkäufer sofort darauf aufzubauen und legen Teppiche vor Werner aus. Er meint nur ein paar Mal „Really nice“, zeigt aber kein weiteres Interesse. Nach einer guten Stunde dackeln wir zum Hausboot und verstauen unsere Schätze.

 

Hanjörg und Martin kommen auf unser Hausboot. Sie überlegen wie die Reise wohl nach der Ankunft in Neu Delhi weitergehen wird. Wir haben ja noch ein paar Tage und schließlich kann Asia Bike Tours das nicht einfach in Neu Delhi beenden. Die beiden möchten von Neu Delhi aus nach Rajastan und versuchen alle Mitreisenden mit ins Boot zu kriegen. Sie würden gerne für ein paar Tage auf Kamelen durch die Wüste Thar reiten. Werner ist davon nicht so begeistert. Er war schon mal in der Wüste Thar. Die ist hauptsächlich flach, die beiden stellen sich aber Sanddünen und Sternenhimmelromatik vor. Auf so einem Kamel schaukelt es aber gewaltig – und das mehrere Tage, na ja. Auch Max kommt irgendwann hinzu. Er meint es sei alles schon festgelegt. Morgen geht es mit dem Flugzeug nach Neu Delhi, dann mit dem Zug um 17 Uhr 1. Klasse nach Amritsar, so dass wir um 22 Uhr in Amritsar eintreffen werden. Tags darauf Besichtigung des goldenen Tempels von Amritsar. Danach Weiterfahrt nach Dharamsala, der Exilsitz des Dalai Lama. Zwei Tage Besichtigung in Dharamsala und dann per Zug zurück nach Neu Delhi. Damit sind jedoch nicht alle der Gruppe einverstanden. Eine Hälfte findet Max´ Programm besser, die andern möchten lieber nach Rajastan. Martin überzeugt Max direkt mit dem Chef von Asia Bike Tours, Herrn Jakob aus Österreich, zu verhandeln. Martin macht mit Herrn Jakob aus, dass er, Hanjörg, Nico und Holm nach Rajastan reisen werden. Der Rest, also Rick, die beiden Japaner, Max, Steffi und Werner machen die Amritsar/Dharamsala-Tour. Max hat ja viele Jahre in Dharamsala gelebt, vielleicht bricht er dort sein Schweigen und erzählt uns irgendwas, da müsste er sich ja eigentlich auskennen. Danach ist Packen angesagt und dann verziehen wir uns auch gleich ins Bett. Morgen soll es um 5 Uhr losgehen. Da immer noch Ausgangssperre ist, werden wir uns mit Shikaras hier davonschleichen müssen.

26. August 2008:
Um 4 Uhr beginnt erneut der Sing-Sang der Muezzine. Werner platziert die Filmkamera ans offene Fenster um das aufzunehmen. Dabei sieht er, dass die Shikaras bereits vor den Hausbooten warten. Wir stehen auf, packen unsere Sachen und würgen ein letztes Mal Achats Frühstück hinunter. Gleich danach geht’s zu den Shikaras. Auch eine andere Reisegruppe versucht sich mit diesen Booten hier davon zu machen. Es sind 10 Leute aus Singapur. Kaum sind die Boote da, vergessen sie die asiatische Höflichkeit und stürmen gleich in die Shikaras. Wir versuchen uns und unser Gepäck in die restlichen Shikaras zu bekommen. So starten insgesamt 20 Menschen mit acht Booten. Max wiederholt hektisch einige Male: „We keep the group together, we keep the group together“ - (Wir halten die Gruppe zusammen). Die Bootsführer paddeln was das Zeug hält. Es ist noch nicht hell als wir den Nagin-See bereits zur Hälfte überquert haben. Wir fahren genau die gleiche Strecke wie vorgestern. Beim Morgengrauen sehen wir viele Fischreiher, die sich jetzt gerade ihre Frühstücksfischchen holen. Ansonsten ist es verdächtig ruhig. In der Ferne hört man kein Motorengeräusch. Die Straße, die wir vom See aus sehen ist absolut leer. Die anderen paddeln schneller als unser Boot. Wir sind zu fünft im Boot, Hanjörg, Rick, Steffi und Werner. Bei den anderen rudern auch die Motorradmechaniker mit. Es geht am Gemüsemarkt vorbei, auf dem sich um die 20 Boote mit Händlern befinden. Die Händler beginnen sofort mit unserem Bootsführer tumultartig zu debattieren. Sinngemäß muss es wohl so etwas heißen wie: „Bist du blöd und fährst hier Touris rum? Weißt du nicht dass Ausgangssperre ist?“. Unser Bootsführer lässt sich jedoch davon nicht beirren und fährt weiter. Die anderen Boote unserer Gruppe sind inzwischen so weit voraus, dass wir sie gar nicht mehr sehen. Er weiß nun auch nicht mehr genau wo die anderen jetzt genau hingefahren sind. Die Wasserstraßen teilen sich und er nimmt den linken Weg. Nach einiger Zeit fragt er Leute in anderen Booten, ob sie denn eine Gruppe mit Touris gesehen haben. Sie schütteln den Kopf. Jetzt weiß er nicht mehr wo er hin soll uns paddelt direkt auf die gegenüberliegende Asphaltstraße zu.

 

Dort gibt es eine Treppe auf der sieben Soldaten stehen. Als sie uns sehen pfeifen sie sofort und winken ihm er solle anlegen. Rick macht Fotos von den Soldaten. Wir sagen ihm er soll das postwendend unterlassen. Die Soldaten finden das alles gar nicht lustig. Einer nimmt sein Gewehr von der Schulter und winkt, wir sollen schleunigst hier anlegen. Unser Bootsfahrer bekommt einen Anschiss, der sich gewaschen hat. Er erhält Anweisung uns zu unserem Ausgangspunkt zurückzubringen und sich ja nicht zu erlauben irgendwo anders noch mal aufzutauchen. Es ist Ausgangssperre und da hat jeder zu bleiben wo er ist, auch blöde Touris. Steffi hat Angst und Hanjörg sagt zum Soldaten: „We want to go to the airport“. Dies erhöht deutlich die Lautstärke der Soldaten. Sie brüllen den Bootsfahrer an, er soll sich vom Acker machen und wenn sie ihn noch mal sehen dann würden sie auch schießen. Das war eindeutig! Der Bootsfahrer dreht das Boot und versucht so schnell wie möglich sich auf den Rückweg zu machen. Nach fünf Minuten klingelt das Telefon des Bootsfahrers. Es ist Max, der inzwischen auch gemerkt hat, dass wir nicht nachgekommen sind. Werner nimmt das Telefon und fragt ihn ob er noch alle Tassen im Schrank hat. Er lässt uns hier alleine rumpaddeln und der Bootsfahrer kennt den Weg nicht. „We keep the group together“, was für ein Armleuchter.

 

Werner gibt dem Bootsfahrer das Telefon, vielleicht kann ja der andere Bootsfahrer ihm erklären wo die anderen stecken und wie er dorthin kommen kann. Unser Bootsfahrer fährt bis uns die Soldaten nicht mehr sehen können. Dann schlägt er sich links hinter großen Hausbooten auf kleine Wasserwege. Über diese Kanäle gelingt es ihm zu den anderen zu gelangen, ohne dass uns andere Soldaten sehen. Jetzt sind alle wieder beieinander, die Leutchen aus Singapur, unsere Gruppe und noch ein Boot mit zwei Israelis. Alle „ankern“ vor ein paar Hausbooten. Auf der gegenüberliegenden Seite sind zwei Soldaten, die dafür sorgen, dass sich hier nichts mehr bewegt. So braten wir die nächsten zwei Stunden hier in der Sonne ohne dass sich irgendwas tut. Auch zwei Boote mit Einheimischen dümpeln jetzt hier rum. In einem sitzt ein Moslem, der sich mit umliegenden Hausbootleuten unterhält. Seine Stimme wird immer lauter, er schreit in voller Lautstärke missmutig herum. Die beiden Israelis lassen sich die 50 Meter hinüber zu den Soldaten paddeln und betreten die Treppe. Das israelische Mädchen winkt uns zu, wir sollen rüber kommen. Aber wir rühren uns hier nicht vom Fleck. Die Soldaten haben Befehl keinen auf die Straße zu lassen, also was soll das? Nach einigen Minuten pfeift ein Offizier die beiden ins Boot zurück. Sie paddeln wieder zu uns herüber. Max telefoniert angeblich mit dem Polizeipräsidenten von Srinagar, der Wichtigtuer. Wir denken er telefoniert lediglich mit Asia Bike Tours nach Neu Delhi und dort versucht man über Beziehungen hier etwas zu erreichen. Nach dem Telefonat ist er ganz euphorisch. In 10 Minuten soll ein Bus da sein, der uns zum Flughafen bringt. Wir warten und Warten.

 

Nach einer weiteren Stunde und weiteren heftigen Telefonaten kommt schließlich ein Militär-Lastwägelchen an, ein etwas größerer Lieferwagen mit einer Pritsche und einer Plane drüber. Die Soldaten winken uns zu, wir sollen rüber kommen. Na dann los. Die Gruppe aus Singapur sind natürlich die ersten, die lospaddeln. Die Moslems und wir pfeifen sie heftig zurück. Der Lieferwagen bietet 10 Sitzplätze auf der Pritsche. Schnell lupfen wir unser Gepäck in den Lieferwagen. Zuerst das Gepäck, dann die Menschen, so haben wir es uns wenigstens vorgestellt. Wir können gar nicht so schnell schauen wie die Singhalesen bereits unter der Plane hocken. Sie haben Panik hier nicht mitzukommen und verhalten sich äußerst unfreundlich. Wir quetschen uns auch noch mit dazu. Alle sind reingepfercht. Unter der Plane bekommt man kaum Luft. Manche haben soviel Gepäck auf sich drauf, dass sie fast ohnmächtig werden. Insgesamt sind jetzt 30 Menschen und Gepäck in diesem Lieferwagen gestapelt, prall gefüllt bis unters Dach. Keiner kann sich mehr bewegen. Die Fahrt zum Flughafen geht gut 20 Minuten über menschenleere Straßen. Am Straßenrand desöfteren Soldaten, die die Ausgangssperre überwachen. Ab und zu auch ein paar Panzerwagen. Alle sind heilfroh als wir am Flughafen ankommen. Das ganze Gepäck wird ausgeladen. Hanjörg ist knallrot im Gesicht, noch ein paar Minuten und er wäre kollabiert. Jeder schnappt sein Gepäck und zieht es zu einer Durchleuchtungsmaschine. Danach müssen alle noch mal in den Lkw. Jetzt aber organisierter – erst das Gepäck, dann die Menschen. Steffi darf vorne in der Kabine mitfahren. Nach weiteren fünf Minuten riechen wir Kerosin. Hurra, der Flughafen, wir sind da. Das Flughafengebäude ist sehr modern, ein kuppelartiges Gebilde an dem noch heftig gebaut wird. Wir betreten die Eingangshalle. Das Gepäck wird mehrmals durchleuchtet, jeder wird abgetastet. Wir erhalten die üblichen Departure-Formulare zum Ausfüllen, die wir am Check-In Schalter abgeben müssen. Wir erhalten die Boardingcard für den Abflug 14 Uhr 15. Es ist inzwischen 10 Uhr 30, also noch viele Stunden hier in der vom Baulärm dröhnenden Abflughalle. Es wird gehämmert, geschweißt, geflext und gesägt. Prima, das brauchen wir jetzt dringend – war ja noch nix los heute.

 

Die Sitze in der Wartehalle sind von Tauben verschissen, die im Kuppelbau hausen. Wir ergattern zwei Sitzplätze unter einem Vorsprung und versuchen ein wenig zu dösen. Durch den Taubenkot ist die Halle voll mit Fliegen. Sobald wir die Augen schließen haben wir die Fliegen auf dem Gesicht und in den Ohren. Nach einiger Zeit bekommen wir Hunger. Das Flughafengebäude hat kein Restaurant, nur eine Snackbude. Werner stapft in den ersten Stock um uns dort ein Stück Sandkuchen und eine Limo zu holen. Als der Verkäufer bei Werner kassiert, schweißt oberhalb jemand an einem Eisenrohr. Dem Kuchenverkäufer fällen die heißen Späne ins Genick. Er hüpft wie wild umher und schimpft danach dementsprechend. Leider vergeht durch solche Einlagen die Zeit auch nicht wesentlich schneller. Nach einigen Stunden dürfen wir in den Abflugwarteraum. Dort treffen wir auf die Motorradfahrer, die wir seinerzeit im Goldrop-Camp getroffen haben. Sie haben anscheinend nicht so einen Dödel als Guide. Sie haben bis 8 Uhr geschlafen, sind um 9 Uhr in zwei Taxen gestiegen und dann cool zum Flughafen gefahren. Ihr Führer hat den Soldaten erklärt, dass sie zum Flughafen fahren und die Tickets vorgezeigt, das hat genügt. Wie auch immer, Hauptsache wir sind jetzt am Flughafen. Nach knapp 30 Minuten fliegt diese Gruppe ab. Weg sind sie. Max erklärt uns, dass die Mechaniker mit einer ganz anderen Maschine fliegen als wir und er selbst auch mit einer anderen als die Mechaniker und wir. Angeblich geht alle 30 Minuten eine Maschine nach Neu Delhi. Schon komisch, dass der Guide ohne seine Gruppe reist, aber bei Max wundert uns gar nichts mehr. Sein Flieger soll 10 Minuten nach unserem gehen. In der Wartehalle drängen sich jetzt hunderte von Menschen. Es wird sehr laut und die Luft ist miserabel. Die Mechaniker sind schon geflogen. Jetzt fliegt auch Max. Wollte er nicht nach uns fliegen?

 

Wunderbar, wir hocken in Srinagar und unser Guide ist bereits in Neu Delhi. Aus den Lautsprechern ertönt die Durchsage, dass unser Flugzeug 15 Minuten später kommen wird. Nach 15 Minuten heißt es noch eine halbe Stunde. Nach der halben Stunde heißt es noch eine Stunde. So wird aus dem geplanten Abflug um 14 Uhr 15 der tatsächliche Abflug 16 Uhr 20. Nach 1 Stunde 15 Minuten landen wir. Vor dem Flughafengebäude ist von Max weit und breit keine Spur, hat ihm wohl zu lange gedauert. Bestimmt hockt er bereits frisch geduscht im Speisesaal des Hotels. Arun holt uns ab. Er organisiert 3 Taxen. Der Hauptteil des Gepäcks wird auf den Dachträger eines Taxis gelegt. Dessen Fahrer meint, das geht schon. Wir meinen das geht nicht. Er soll das Gepäck gefälligst festbinden. Martin zieht aus seinem Gepäck ein Seil raus und wir binden das Gepäck selbst fest. Der Fahrer würde glatt mit unseren, auf dem Gepäckträger frei stehenden, Koffern mit 70 Sachen durch Neu Delhi rattern. Nach 40 Minuten kommen wir im Hotel Florence Inn in Karol Bagh, das ist die Altstadt von Neu Delhi, an. Dort angekommen empfängt uns, fröhlich ein Liedchen pfeifend, der frisch geduschte Max. Wir sind verschwitzt, müde und hungrig. In der eiskalten, klimagekühlten Hotellobby sitzen wir mit Leitungswasser ein wenig blöd herum. Max verteilt ein paar T-Shirts und entlässt unsere Motorradmechaniker. Das soll nun die Celebration-Party gewesen sein, die er uns angekündigt hat. Max lässt ein Kuvert rumgehen, dort hinein dürfen wir das Trinkgeld für die Mechaniker reinlegen. Tun wir auch und jeder ist sich einig, dass wir kein Trinkgeldkuvert für Max benötigen.

 

Nach der Zeremonie besuchen wir erneut das Crossroad-Restaurant in dem wir schon am ersten Abend waren. Dort bestellen sich alle Black-Label Bier, das ist das leckerste Bier Indiens. Im Restaurant ist heute nicht so viel los, da wir heute unter der Woche hier sind. Nach dem Essen verabschieden wir uns von Hanjörg, Martin, Holm und Nico. Sie wollen ja nach  Rajastan. Der Rest der Gruppe geht zurück zum Hotel. Wir bringen unser Gepäck ins Taxi und rattern zum Bahnhof. Es ist etwa 22 Uhr aber immer noch unglaublich heiß, bestimmt noch 30 Grad und über 90% Luftfeuchtigkeit. Dort angekommen nehmen wir ein paar Träger für das Gepäck. Sie schnappen sich unser Gepäck und rennen Max hinterher, der voraus rennt. Im Bahnhof ist richtig was los. Viele Menschen, auch jede Menge zweifelhafter Gestalten, treiben sich hier herum. Max eilt durch den Bahnhof, auf der anderen Seite wieder raus und nach einer scharfen Linkskurve den Bahnsteig entlang, im Schweinsgalopp. Umschauen und nachsehen, ob alle hinter ihm sind, ist nicht notwendig. Alle rennen Max hinterher. Steffi hat nicht mitbekommen, dass wir nach links gelaufen sind und biegt nach rechts ab. Werner merkt nach 20 Metern, dass Steffi nicht mehr da ist. Aber es wimmelt hier nur so vor Menschen. Viele Träger haben Koffer, Taschen und Pakete auf ihren Köpfen, unglaubliche Menschenmassen bewegen sich durch diesen Bahnhof. Wenn man sich hier verliert kann man 10 Meter auseinander stehen und sieht sich trotzdem nicht. Es stinkt erbärmlich nach Schweiß und Urin, Abfall liegt auf den Gleisen. Familien mit Kindern liegen am Boden, manche auf Decken. Werner rennt vor zu Max und schreit „Halt, halt, Steffi ist weg“. Max schaut blöd und sagt erstmal gar nichts. Er braucht sich ja eigentlich nicht wundern, wenn er so voran prescht. Werner sagt, sie sollen alle bleiben wo sie sind, er rennt zurück. Er geht durch die große Bahnhofshalle, raus bis zu den Taxen. Von Steffi weit und breit keine Spur. Werner rennt zurück zu Max. Die Träger winken bereits. Zwei Träger sind schon vorausgelaufen und sie winken in Richtung dieser Träger. Werner hat zu Steffi gesagt, sie soll auf das Gepäck aufpassen, vielleicht ist sie ja schon mit diesen beiden Trägern vorausgelaufen. Also marschieren wir den ganzen Bahnsteig entlang bis zu unserem Zugabteil. Dort schauen uns die beiden anderen Träger kuhäugig entgegen. Weit und breit keine Steffi zu sehen.

 

Wir sehen noch überall nach, nein, sie sitzt nicht mit der Gruppe Indern auf dem Boden und isst Chips aus einem großen Blechtopf. Sie schläft auch nicht direkt neben den Gleisen, wie so mancher hier – sie ist einfach weg! Inzwischen ist auch aufgefallen, dass Matsumoto San auch weg ist. Na, dann ist sie hoffentlich nicht alleine. Max und Werner rennen zurück zum größten Gewimmel, dort wo wir uns zuletzt gesehen haben. Steffi sagt dies auch zu Matsumoto San und genau da sehen wir die beiden stehen. Große Freude! Gemeinsam stapfen wir vor zu den Trägern. Der Zug steht zwar bereits da, ist aber noch verschlossen. Max sagt, dass der Zug auch erst in einer Stunde fährt. Wozu dann die ganze Hektik? Wir sehen uns an, der Typ hat doch nicht alle Tassen im Schrank, oder? Nach einer halben Stunde wird die Zugmaschine angeworfen. Die heizt nun noch ein wenig mit, so werden aus den 30 Grad ganz locker 35 Grad, uns rinnt der Schweiß in Strömen. Der Bahnsteig ist überdacht, da staut sich die Hitze schön. Vom Dach hängen zwei Deckenventilatoren, sogenannte Miefquirls, darunter sitzen traubenartig die Inder. Auch sie schwitzen anscheinend. Wir stehen weitere 20 Minuten blöd rum. Endlich werden die Wagone geöffnet und wir können rein. Wir betreten den Wagon, voller Erwartung auf unser versprochenes 1. Klasse Abteil. Max sucht unser Abteil.

 

Die Enttäuschung ist riesig. Da sollen wir heute Nacht schlafen? Steffi ist entsetzt. Er, oder die Agentur, hat uns ein 2. Klasse Abteil gebucht. In Indien bedeutet das wesentlich schlechter zu reisen, mit unserer 2. Klasse in Deutschland nicht zu vergleichen. Als Tourist sollte man in Indien ausschließlich 1. Klasse reisen, noch dazu über Nacht. Das Abteil verdient seinen Namen eigentlich nicht, da es keines ist. Es gibt keine Tür zum Absperren, so wie in der 1. Klase. Wir sollen auf offenen, verdreckten Plastikbänken am Gang liegen. Jeder der in der Nacht durch den Zug geht kann sich dabei von unserem Gepäck bedienen. Noch dazu gibt es keine Klimaanlage, nur einen uralten, kleinen, verstaubten Miefquirl an der Decke, der aber nicht läuft. Im Wagon hat es an die 40 Grad, die Fenster lassen sich nicht öffnen, die Luft steht. Rick legt sich erst mal auf die unterste Plastikbank. Er scheint am Ende zu sein, seine Haare sind vom Schwitzen total nass. Auf 2 m² hängen jeweils 3 Plastikbänke übereinander, wie Stockbetten, an der Wand, die oberen beiden zum Ausklappen. Max merkt, dass die Stimmung jetzt am Nullpunkt ist. Er fängt an blödsinnige Lieder zu singen. Dazu könnten Psychologen bestimmt gerne etwas sagen. Dann schwingt er Reden: Er sei schon 300.000 km in Indien mit dem Zug gefahren, das sei die Strecke von der Erde bis zum Mond und besonders in der 3. Klasse sei es am schönsten. Er ist sehr stolz darauf welche Menschen er da kennengelernt hat. Okay, kann er ja für sich gerne so entscheiden, aber wir sind eine Reisegruppe, die 1. Klasse gebucht hat. Jeder von uns hat mehrere tausend Euro für diese Reise hingelegt und es ist einfach nur popelig für uns 2. Klasse zu buchen. Wir sind sauer, dass man uns angelogen hat. Warum hat man uns das nicht vorher gesagt? Wir hätten die 20 Euro Aufpreis für die 1. Klasse dann einfach selbst draufgelegt. Werner schaut mal vor zur Toilette. Diese ist äußerst rustikal und stinkt bestialisch. Sie grenzt an den 3. Klasse Wagon. In Deutschland würde wahrscheinlich nur jeder hundertste die Klotüre überhaupt anfassen. Steffi geht mit, sieht aber die Türe und das reicht ihr schon. Sie kehrt sofort um.

 

Max hat zwischenzeitlich die Bänke runtergeklappt auf den wir schlafen sollen. Irgendjemand hat schwere Wolldecken auf den Boden geschmissen, aha, damit dürfen wir uns zudecken wenn es nachts so richtig kalt werden sollte. Pfui Teufel! Keinen würde es wundern in diesen Decken eine tote Ratte zu finden. Es ist kurz nach Mitternacht, also noch 10 Minuten bis zur Abfahrt des Zuges. Wir klettern auf unsere Plastikbänke. Werner klettert ganz nach oben, da ist die Luft natürlich noch dicker. Er hat kaum Platz dort oben, denn die Decke ist nur einige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Jeder schwitzt aus allen Poren. Steffi liegt auf der mittleren Bank, Matsumoto San haben wir die untere Bank überlassen. Er liegt zusammengekauert auf der untersten Bank und schaut sehr fertig aus. Steffi liegt apathisch da. Werner liegt ganz flach dort oben. Wenn er sich etwas bewegt fällt immer eine Seitenklappe auf seinen Bauch und erdrückt ihn schier. Jetzt reicht es ihm, das Fass ist übergelaufen! Werner schreit auf: „Mir reicht’s jetzt!“. Er klettert von seiner Bank herunter und sagt zu Steffi: „Wir haben noch 2 Minuten bis der Zug abfährt, lets go!“. Er zieht sein Gepäck unter den Bänken raus und schleift in Windeseile unsere vier Gepäckstücke auf den Bahnsteig. Er schreit zu Steffi: „Schnell, schnell, sonst fährt der Zug ab!“. Wir springen aus dem Zug. Steffi ist heilfroh, dass Werner aus dem Zug heraus springt. Plötzlich steht Rick da, er verabschiedet sich von uns. Wäre der Zug noch 2 Minuten länger gestanden, wäre er wahrscheinlich auch mit rausgesprungen. Max steht an der Türe und sagt: „Also, also, also…“. Nach einer Denkpause meint er noch: „Ihr wisst ja gar nicht was ihr da verpasst“.

 

Werner sagt zu ihm: „Ich glaube du hast uns genug verarscht, jetzt reicht es einfach, leb wohl“. Der Zug rollt an, wir stapfen den langen Weg zurück in Richtung Ausgang. Draußen quatscht uns natürlich sofort jemand an: „Taxi, Taxi?“. Wir nehmen den erst besten, einen kleinen japanischen Minibus. An der nächsten Ecke halten wir und ein etwas älterer Taxifahrer übernimmt das Fahrzeug. Wir erklären ihm, dass er uns zu einem schönen Hotel in der Altstadt fahren soll. Wir fahren zurück nach Karol Bagh, das kennen wir ja bereits. Er bringt uns in einige Hotels, aber wir suchen etwas Besseres. Wir erklären ihm, dass es schon ein paar Rupien mehr kosten darf. Darauf fährt er uns zum Yatri-Hotel. Dort finden wir ein passendes Zimmer. Es liegt ruhig, also nicht direkt an der Straße. Es gibt ein Fenster, das man öffnen kann, ein großes Doppelbett, eine Klimaanlage, ein sauberes Bad und einen funktionierenden, stufenlos verstellbaren Miefquirl. Da es inzwischen 1 Uhr 30 ist, und Gäste, die mitten in der Nacht auftauchen immer zweifelhaft sind, sollen wir 4.000 Rupien an der Rezeption hinterlegen. Machen wir. Zu guter letzt gönnen wir uns noch eine Dusche, natürlich kalt. Wir sind total erschöpft. Vom Hausboot und der Flucht aus Kaschmir bis hierher. Was für ein Tag!

27. August 2008:
Wir schlafen bis 8 Uhr 30. Das Frühstück darf man auf der Dachterrasse des Hotels einnehmen. Vom fünften Stock des Hotels sehen wir ein wenig über die Altstadt von Neu Delhi. Zum Glück gibt es einen Sonnenschirm, es hat schon wieder (oder immer noch?) 30 Grad. Wir nehmen American Breakfast. Danach duschen und dann ein paar Telefonate um unser Folgeprogramm einige Tage zu verlängern: 153 Euro pro Person, damit sind wir einverstanden. Gegen Mittag ist die Sache perfekt und wir gehen vor das Hotel. Natürlich sieht uns gleich ein Motorrikschafahrer: „Hello, Mister – cheap price!“. Wir wollen zum Gandhimuseum, dem sogenannten Burlahouse. Er will uns für 100 Rupien dort hin bringen. Wir rattern los und kommen schließlich zum Tempel „Birla Madir“, in dem Werner vor einigen Jahren schon mal war. Der Rikschafahrer sagt da sollen wir rein, er wartet derweil. Ausgiebig besichtigen wir den schönen Hindu-Tempel, der zwischen 1933 und 1939 erbaut wurde. Die präsidierenden Gottheiten hier sind Vishnu und Durga. Vor allem die Wände sind voll von Bildern, die von Künstlern aus Rajastan geschaffen wurden. Im zugehörigen Garten trinken wir eine Cola. Aber dies ist nicht das Burlahouse, sondern der Burlatempel. Im zugehörigen Souvenirshop fragen wir, wo denn das Burlahouse sei. Nicht weit weg, aber zum Laufen zu weit. Aha! Bei unserem wartenden Rikschafahrer kommen wir mit dem Begriff „Burlahouse“ nicht weiter und das Gandhimuseum sei viel zu weit, da kommen wir mit 100 Rupien nicht hin. Wir glauben, dass er das Burlahouse nicht kennt, lassen ihn fahren und gehen los um eine andere Rikscha zu finden. An einer Kreuzung hält eine Fahrradrikscha an mit 10 Erstklässlern drauf. Sie starren uns groß an. Werner zieht eine Tüte Luftballons aus Steffis Rucksack, jeder kriegt einen. Die Freude ist groß. Wir gehen ums Eck herum, siehe da, hier stehen dutzende von Motorrikschas. Wo ist bloß die erste? Noch um ein Eck herum, hier stehen noch mehr, insgesamt bestimmt 150 Motorrikschas. Einen fragen wir, ob er uns zum Burlahouse bringen kann. Ja, aber erst wenn er mit dem Tanken fertig sei. Ach so! Die stehen hier alle, weil dort vorne (noch mal um ein Eck herum) die Tankstelle für die Motorrikschas ist. Einer kommt an, seine Motorrikscha ist bereits vollgetankt. Er will 150 Rupien bis zum Burlahouse, also rattern wir los.

 

Nach einer halben Stunde Fahrtzeit kommen wir zu einem großen Park. Werner gehen die Lichter auf, das ist Raj Ghat. Der Fahrer wusste auch mit „Burlahouse“ nichts anzufangen und hat uns einfach zur Gedenkstätte von Mahatma Gandhi gefahren. Der am 30. Januar 1948 ermordete Gandhi wurde hier eingeäschert, seine Asche in alle Winde verstreut. Die Gedenkstätte entspricht so ganz dem Wesen der Person, die es ehrt: Eine schlichte Plattform aus schwarzem Marmor mit einer Flamme, die nie erlischt. Gandhis letzte Worte „He Ram“ (O Gott!) sind am Fuß der Plattform eingraviert. Die umgebenden Gärten sind quadratisch angelegt. Am Rande des riesigen Gartens setzen wir uns in den Schatten eines mächtigen Baumes. Mehrere Wärter scheuchen die hier im Gras herumsitzenden Menschen auf. Wir sind zum Glück so weit weg, dass die Wärter keine Lust haben bis zu uns zu laufen. Am Ausgang möchte Steffi zur Toilette, die es hier gibt. Durch den derart miserablen Zustand kann sie es sich jedoch verkneifen. Mit Schlauchboot hätte man hier schon gehen können, aber wir haben leider keines dabei. Erneut schnappen wir uns eine Motorrikscha. Jetzt möchten wir zum Chandni Chowk, dem alten Basar Delhis. Der Fahrer fragt: „Shopping?“. Steffi nickt. Sie hat schon die Dollarzeichen in den Augen als das Wort Shopping fällt, der Rikschafahrer auch. Werner weiß was das jetzt heißt. Der Fahrer wird uns nun in einen Shop abschleppen. Dort angekommen verschwinden wir im Keller eines Shops. Werner staunt nicht schlecht – hier war er vor Jahren auch schon mal, na so was! Er hat hier seinen aus Sandelholz geschnitzten Ganesh gekauft. Einer der Verkäufer kann sich noch an Werner erinnern und Werner auch an ihn, da er einen markant hervorstehenden Zahn hat. Die Qualität der Ware hier ist besser als in den Läden an der Straße. Ein wahres Einkaufsparadies. Steffi schaut sich erstmal beim Schmuck um, Werner unterdes Gemälde, Teppiche und Schnitzereien. Steffi  findet ein paar schöne Ohrringe, die wir natürlich herunter handeln. Als die Verkäuferin nicht mehr weiter herunter geht erscheint der Chef des Ladens. Er nennt ihr einen Preis und verschwindet wieder. Steffi möchte es aber noch billiger haben und lehnt ab. Der Chef wird noch mal geholt und stimmt dem Preis von Steffi zu. Sie hat das Handeln inzwischen gut drauf. Der einzige Trick beim Handeln ist: Einen Preis für sich selbst finden, den man bereit ist zu bezahlen und sich von vornherein darüber im Klaren sein, dass es kein Weltuntergang ist wenn man die Ware zu dem Preis nicht bekommt. Das klappt in 99% aller Fälle. Die Ohrringe werden bezahlt und Werner denkt sich, na prima, nix wie raus hier.

 

Da entdeckt Steffi die Paschminaschals, das musste ja so kommen. Mehrere Verkäufer schwänzeln um sie herum und legen einen tollen Schal nach dem anderen hin. Nachdem sie sich eine tolle Farbe rausgesucht hat, sind sich alle einig, das muss er sein. Aber natürlich ist er viiiel zu teuer. Sie legt ihn zurück auf den Tresen und kehrt den Schals den Rücken. Gemeinsam schauen wir uns ein wenig bei den Gemälden um, natürlich ohne großes Interesse. Danach schlendern wir noch mal zurück zu den Paschminaschals und fragen, ob sich zwischenzeitlich der Preis nach unten bewegt habe. Nach einigem hin und her geht der Schal für 4.500 Rupien über den Tresen. Soviel haben wir nicht mehr flüssig. Werner hat heute Morgen alle Kreditkarten im Koffer im Hotel gelassen, da es ihm in der Altstadt von Delhi zu gefährlich ist mit Kreditkarten herum zu rennen. Der Chef des Ladens schlägt uns vor 1.000 Rupien bar anzuzahlen und den Rest heute Abend um 19 Uhr im Hotel in Bar zu übergeben. Er wird einen Mitarbeiter seiner Firma vorbei schicken. Der Schal können wir freilich gleich mitnehmen, er vertraut uns. Werner drängt jetzt darauf den Laden schleunigst zu verlassen bevor das Loch in der  Urlaubskasse noch größer wird. Draußen wartet unsere Motorrikscha. Jetzt möchten wir aber wirklich zum Chandni Chowk. An einer x-beliebigen Kreuzung bleibt unser Fahrer stehen und meint wir sind da. Das sei der Chandni Chowk. Werner weiß, dass das nicht stimmt. Der Typ mit seinen schmierigen Haaren möchte uns nun einfach so schnell wie möglich loswerden und zu dem Laden zurück fahren um sich seinen Provision abzuholen. Werner sagt, er soll uns zum Chandni Chowk fahren, ein paar Minuten dort warten und uns danach weiter nach Karol Bagh fahren.

 

Der Typ hat schon wieder Dollarzeichen in den Augen und verspricht sich mindestens 500 Rupien für die Tour. Also fährt er los. Nach 10 Minuten sind wir am Chandni Chowk. Dort steigen wir aus und sagen ihm die Fahrt ist hiermit beendet. Wir geben ihm die vereinbarten 150 Rupien und sagen ihm wie viel wir im Laden ausgegeben haben. Er wird zurück fahren und sich dort seine Provision holen. Gleich am Rande des Chandni Chowk kaufen wir uns eine große Wasserflasche für 15 Rupien. Wir sind fast blank. Durch den Einkauf haben wir nur noch 600 Rupien in der Tasche, das wird gerade noch für die Fahrt zum Hotel reichen. Der Chandni Chowk ist zum einen der alte Silberbasar Neu Delhis. Hier kann man das bunte indische Straßenleben am besten kennenlernen und dabei Hunderte origineller Schnappschüsse machen. Der Chandni Chowk ist aber auch die historische Hauptstraße Alt-Delhis. Sie wurde von Moghulkaiser Shah Jahan 1639 verbreitert, um Platz zu haben für seine prächtigen Umzüge mit Musikanten, riesigen geschmückten Wagen und Elefanten. Im 17. Jahrhundert wurde diese Straße als eine der prunkvollsten der Welt bezeichnet. In den Häusern hatten die besten Juweliere, Gold und Silberschmiede ihre Werkstätten, und hier befanden sich die Läden der Händler mit den schönsten Stoffen und Seiden. Wir bestaunen das geballte Auftreten von Pailletten- und Schmuckperlengeschäften, die ihre Ware in den tollsten Farben präsentieren. In den verwinkelten Seitengassen ist der Sitz zahlreicher Juwelierläden mit reichhaltigem Angebot sowie zahlloser kleiner Handwerksbetriebe mit Kunstvollen, aber auch kitschigen Produkten. Heute ist der Glanz der kaiserlichen Straße verblasst, geblieben ist das typische Volksleben.

Ab und zu sehen wir Chapati (Fladenbrot) Bäcker, die das vom Backofen warme Fladenbrot verkaufen. Die Lastenträger essen hier auf der Straße, daneben kauern abge- magerte, schlafende Hunde. Heilige Kühe drängen sich zwischen den Marktständen und verstopfen die Straßen. Fliegende Händler bieten lauthals ihre Waren an. An manchen Ecken ist die Fahrbahn mit Ochsen- karren, Handwagen, Taxis, Motorrollern, Fahrradrikschas, Pferdedroschken, kleinen Lieferwägen und Kühen verstopft. Autos kommen hier nicht mehr durch. Es ist ein mittelalterliches Viertel mit engen Gassen in denen der Müll stellenweise 40 cm hoch am Rand liegt. Ab und zu sehen wir steile Treppenaufgänge, die zu Wohnungen über den Geschäften führen. Dort mieft es modrig heraus, bisweilen stinkt es nach Urin. In einigen Metern Höhe hängen hunderte verdrehte Stromkabel an den Hauswänden. So geballt hat Steffi das noch nie gesehen. Wir wandern die Gassen entlang und kommen zu prunkvollen Läden in denen Saris verkauft werden. An einer Stelle geht es weder vorwärts noch rückwärts weiter. Einige Fahrradrikschas, beladen mit dicken Indern oder zentnerschweren Gütern auf ihren windigen Sitzen, haben sich an einer engen Kreuzung ineinander verkeilt. Die Menschenmassen kommen nicht mehr vom Fleck und drängen sich. Ein blinder Mann drückt sich an Werner. Der Blinde möchte gerne weiter und sieht natürlich nicht, dass sich da vorne alles staut. Er steht mit einem Fuß in einer Pfütze und der Schlamm reicht bis an seinen Knöchel. Als es endlich weiter geht, lässt Werner ihn passieren, anscheinend hat er es eilig. Steffi steht noch fünf Meter weiter hinten, schafft es aber auch diesem Knäuel an Menschen zu entfliehen. Zum Glück wird die Gasse danach etwas breiter. Nun sind wir in der Straße der Schuhhändler. Dort versuchen ab und zu kleine Lieferwägen durchzukommen. Auch hier müssen wir dann und wann stehen bleiben, da es sich staut. Schließlich kommen wir an die Hauptstraße auf der auch wieder Autos und Busse fahren.

Gewürze, Trockenfrüchte, Nüsse und Pasta in allen Formen und Farben werden hier angepriesen. Nach fast 2 Stunden im Chandni Chowk reicht es uns. An einer Ecke steht ein Sikh mit einer schäbigen Motorrikscha. Wir handeln den Preis für die Rückfahrt zu unserem Hotel aus. Da merkt Werner, oh Schreck, der Geldbeutel ist weg. Wir versichern dem Fahrer, dass er im Yatri-Hotel schon sein Geld bekommt und er rattert los. Es ist eine 30 Minuten dauernde Fahrt durch den Frühabendverkehr Neu-Delhis. Im Stadtteil Karol Bagh angekommen muss der Fahrer mehrmals fragen wo sich das Hotel befindet. Die Karte vom Hotel war natürlich auch im Geldbeutel, so können wir ihm den Straßennamen nicht nennen. Wir fahren am Crossroads-Restaurant vorbei in dem wir schon zweimal waren. Ab hier können wir helfen: Die Straße entlang, dann links am Florence Hotel vorbei, dann rechts in einen Kreisverkehr, dort rechts die dritte raus und schon schreit der Sikh: „Yatri, Yatri“, na prima! An der Rezeption des Hotels wechseln wir erst mal 100 US$ in Rupien und bezahlen den Sikh. Da er seine Sache gut gemacht hat bekommt er 100 Rupien Trinkgeld. Er freut sich. Um 19 Uhr erscheint der Mitarbeiter des Shops um die restlichen 3.500 Rupien für Steffis Schal abzuholen. Er trägt Anzug mit Krawatte und goldener Uhr, das Geschäft scheint gut zu laufen. Wir gehen hoch in unser Zimmer und besprechen wie es wohl zum Verlust des Geldbeutels kam.

 

Bei der Recherche fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Der Blinde war ein Taschendieb! Er war der einzige, der engen Körperkontakt und somit eine gute Gelegenheit hatte den Geldbeutel zu klauen. Da er sich nach dem Diebstahl auch so schnell vom Acker machte bestätigt uns bei der Annahme. Zum Glück hat Steffi mittags im Shop fast unser ganzes Geld ausgegeben. So waren nur noch knapp 15 Euro im Geldbeutel. Werner hat in weiser Voraussicht, heute Morgen zum ersten Mal auf dieser Reise, die Kreditkarten aus dem Geldbeutel heraus genommen. Im Geldbeutel befand sich auch Werners Personalausweis, halb so wild, da kann man sich für 10 Euro einen neuen in Deutschland machen lassen. Also, Glück im Unglück. Jetzt haben wir Hunger. Wir möchten heute Abend in ein kleines, schönes Restaurant gehen und den begrenzten Verlust gebührend feiern. Wir stapfen los, erst mal die Straße runter. Zufällig sehen wir eine kleines „Tourist Information Office“. Die müssten doch wissen, ob es hier in der Nähe etwas Vergleichbares gibt. Einer der Mitarbeiter will eh gerade nach Hause und auf dem Weg dorthin zeigt er uns das Restaurant. Gemeinsam gehen wir von der beleuchteten Straße in eine dunkle Seitengasse. Wir fragen uns „Da hinten soll sich ein nettes Restaurant befinden?“. Alleine wären wir spätestens hier umgekehrt. Ungefähr 100 m vor uns geht es auf eine Schnellstraße auf der die Autos vorbei flitzen. Der Typ führt uns weiter und plötzlich stehen wir vor dem Restaurant Alpha Spice. Es schaut von außen schon ganz nett aus, aber von innen sind wir mehr als positiv überrascht. Es gibt eine Klimaanlage, die auf normale Temperatur herunter kühlt, extravagante Tische mit einer Glasplatte, die im Tisch befindliche exotische Gewürze abdeckt, dezente Live Musik und gedämmtes Licht. Sogar indischen Weißwein gibt es hier, die Flasche für 700 Rupien. Klar, den nehmen wir. Es gibt Tandoori Vegetable Platter, Shreddered Chicken und Garlik-Naan, es ist hervorragend, wir futtern alles auf. So gut haben wir in Indien noch nie gegessen. Als wir das Restaurant verlassen, könnten wir beschwipst durch den Wein fast kugeln, so voll sind unsere Bäuche. Morgen um 8 Uhr soll uns ein Fahrer mit Auto abholen. Mal schauen was das wieder wird…

28. August 2008:
Um 7 Uhr klingelt der Handywecker. Schnell hoch auf das Dachrestaurant und Continental Frühstück bestellt. Vom Dach aus kann man sehen, dass Menschen in Zelten hinter dem Hotel hausen. Schräg hinter dem Hotel wird gebaut und so haben sich die Bauarbeiter mit ihren Familien dort für die Bauzeit niedergelassen. Über den Dächern fliegen aufgeregt grüne Papageien. Eigenartig, mitten in der Millionenstadt. Langsam machen wir uns auf dem Weg nach unten. Wir haben bei der Reiseagentur Asia Inside für die restliche Reise ein Auto mit Fahrer bestellt. Um 8 Uhr begrüßen uns in der Hotellobby zwei annähernd 30 jährige Inder. Vor der Türe steht ein weißer Tata Indigo mit einem zirka 25 jährigem Fahrer, sehr gut. Die beiden übergeben uns die Voucher für die nächsten Tage und erzählen uns allerlei schlaues Zeug und Verhaltensregeln für Indien. Sie denken wohl wir wären gerade mit dem Flieger hier angekommen. Wir lassen sie reden, kann ja nicht schaden. Hinter uns ist ein Spiegel. Einer der beiden ist ein richtiger Narzisst. Es ist lustig wie er sich vor seinem Spiegelbild aufgockelt. Sie überreichen uns eine riesige Mappe von Asia Inside, mit allen Hotelgutscheinen und Telefonnummern.

 

Der Narzisst möchte noch ein Stück mitfahren. Das Gepäck fliegt in den Kofferraum des Tata und wir verlassen New Delhi in südlicher Richtung auf der Strecke nach Mumbai. Heute wollen wir nach Jaipur fahren, im Bundesstaat Rajastan gelegen, 300 Kilometer sind das. Es ist ganz schön was los auf der dreispurigen Straße. Der Verkehr wird immer dichter bis wir schließlich im Schatten einer Betonbrücke zum Stehen kommen – rush hour. Selbst die Mopedfahrer kommen jetzt nicht mehr durch. Nach einer dreiviertel Stunde Megastau bewegt sich doch wieder was. Der Knoten löst sich und der Verkehr beginnt erneut zu rollen. Die Autobahn bringt uns in den neuen, modernen Stadtteil Gurgaon, im Industriegürtel der indischen Hauptstadt Neu Delhi gelegen. Dort verlässt uns Mr. Narzisst. Wir freuen uns diese Labertasche los zu sein. Unser Fahrer, Billow, gibt uns zwei Flaschen gekühltes Mineralswasser und es geht weiter. Billow hat einen ruhigen Fahrstil und fährt vorausschauend. Wir sind froh keinen Raser erwischt zu haben den wir einbremsen müssten. Auf einer Schnellstraße lassen wir die letzten Vororte Neu Delhis hinter uns. Das Gebiet hier wird hauptsächlich für den Hirseanbau genutzt. Die Landstraße ist schnurgerade, so wundert es uns nicht unterwegs ab und zu im Straßengraben liegende Lkws zu sehen. Die Fahrer müssen 20 Stunden und mehr durchfahren und pennen in der Nacht einfach ein. Manche Lkw sind schwer überladen. Mit vielen Tonnen im Rücken haben die Fahrer meist keine Überlebenschance, wenn sich ihr Lkw überschlägt oder sie gar mit einem anderen Lkw kollidieren.

 

Das Grün der Landschaft ändert sich allmählich in Ocker, die Farbe der Wüste Rajastans. 100 km vor Jaipur fliegt Steffis Kopf von links nach rechts. Die endlose Straße macht sie fertig. Billow braucht auch mal eine Pause. Also links rein in ein Rasthaus. Um etwas wach zu werden setzten wir uns direkt unter einen riesigen Miefquirl. Steffi findet Dal neuerdings lecker. Dal ist ein Grundnahrungsmittel der Inder. Es ist ein sehr flüssiger Brei aus Linsen und Kichererbsen, der mit Knoblauch und Koriander gewürzt wird. Manchmal kommen noch Zwiebel, Kurkuma und Kokosmilch dazu. Mit viel Wasser gibt es Dal auch als Suppe. Werner nimmt eine scharf gewürzte Hühnersuppe. Draußen sind es ungefähr 42 Grad, im Auto hat es bestimmt 60 Grad. Billow holt das letzte aus der Klimaanlage heraus. Nach einigen Kilometern fährt er links ab. An einem Wasserbecken stehen einige Lkws, die dort gewaschen werden. Das Wasser im Becken schaut aus als hätte gerade ein Elefant dort gebadet, es ist tiefbraun. Um das Wasserbecken herum ist alles verschlammt. Billow fährt bis zum schlammigen Rand des Beckens und öffnet die Motorhaube, der Motor kocht. Er holt eine kleine Plastikschale aus dem Kofferraum und spritzt damit einige dutzend Male die braune Brühe auf den Kühler. Zwischendurch sieht er auf der Temperaturanzeige nach, ob der Motor abkühlt. Langsam wird es besser. Aber er ist immer noch zu heiß. Eine Sicherung, die für die Kühlung gebraucht wird, ist durchgebrannt. Im knöcheltiefen Schlamm entdeckt er ein Stück Kabel liegen. Er wäscht es ein wenig in der Brühe ab und zieht es dann durch seine Zähne um die Isolationshülle vom Kupferkabel weg zu bekommen. Mit ein paar dünnen Kupfersträngen bastelt er aus der alten Sicherung eine Ersatzsicherung. Es funktioniert, die Temperatur fällt. Wir warten noch eine Viertelstunde dann geht’s weiter. Die Klimaanlage funktioniert auch wieder normal.

 

Die restlichen 90 Kilometer bis Jaipur sind schnurgerade. Weit weg am Horizont tauchen mal ein paar Buckel auf, die aber auch nicht höher als 200 m sind. Rajastan ist zumeist eine ganz flache Sache. Selten kommen uns Kamelkarren entgegen. Nach Kilometer um Kilometer kommen wir dann doch in Jaipur an. Wir fahren um eine Kurve und sehen vor uns auf einer Anhöhe das Amber-Fort. Vor dem Fort liegt ein kleiner See in dem Elefanten baden dürfen, die vormittags Touris zum Fort hoch tragen müssen. Das Bad ist nun die Belohnung für die Fantis, sie genießen es. Eine Gruppe Wasserbüffel kennt das schon und hat ihnen sicherheitshalber Platz gemacht. Eine malerische Sache. Um zu unserem Hotel zu kommen müssen wir ganz Jaipur durchqueren. Die Stadt hat 3,3 Millionen Einwohner. Die Altstadt besteht überwiegend aus rosaroten Häusern. Deshalb wird sie auch die „Pink City“ genannt. Den Anstrich erhielt sie Ende des 19. Jahrhunderts in Vorbereitung auf den Besuch von Prinz Albert von England, dem Ehemann der britischen Königin Victoria. Rosarot ist Rajastans traditionelle Farbe der Gastlichkeit. In einem ruhigen Wohngebiet mit Grün liegt unser Hotel, das Shapura House, ein umgebauter Sommerpalast eines Maharajas. 1956 hat er den Palast verkauft. Seit nunmehr 40 Jahren befindet sich ein prunkvolles 4 Sterne Hotel darin.

Wir werden herzlich von einem schleimigen Hotelmanager empfangen. Nach dem frisch gepressten Fruchtsaft zeigt uns er uns das Zimmer. Es hat Marmorbad, eine private Veranda direkt über dem Pool, mit eleganten kolonialen Möbeln. Das Shapura House hat eine schöne Atmosphäre mit Kerzenschein Dinner auf dem Dachrestaurant mit Musikern, Fresken an den Wänden und ein königliches Ambiente der alten Zeit. Steffi ist überrascht und begeistert. Ja, so was gibt’s in Indien auch ;-). Werner hüpft sofort in seine Badehose um den Pool zu testen. Platsch, schon ist er drin. Komfortable Teakholz- liegen laden zum Entspannen ein. Außer einem kleinen indischen Diener ist hier keiner. Werner animiert sie nun endlich in den Pool reinzu- springen. Endlich kommt sie auch ins Wasser. Werner hört nur noch: „Ah, ist das schön hier, ah, ist das schön hier“. Dann möchte sie am liebsten gar nicht mehr raus. Den ganzen Nachmittag hängen wir am Pool ab. Abends sind wir die einzigen Gäste auf dem Dachrestaurant. Zwei Musiker und zwei Tänzerinnen spulen ihr Programm nur für uns ab.

29. August 2008:
Um 7 Uhr stehen wir auf, um 8 Uhr will Billow da sein. Der marmorne, mit Inkrustationen ausgestatte Frühstücksraum ist noch ganz leer. Der Ober bringt Werner frische Ananas mit Papaya, Bananen und Äpfel. Einen Apfel klauen wir für einen Elefanten im Amber-Fort. Steffi isst leckeres Käseomelett. Billow ist pünktlich und wir fahren zum Palast der Winde, der morgens schön in der Sonne liegt. Er ist das berühmteste Wahrzeichen von Jaipur. Diese auffällige Konstruktion diente den zahlreichen Damen des Hofes, die sich nicht unter das einfache Volk begeben durften, als Beobachtungsposten vor allem bei den beliebten Prozessionen. So sah, hörte und roch man alles von der Straße, konnte aber aufgrund der abdunkelnden Bauweise von außen nicht bemerkt werden. Ihren Namen erhielt die Schaufassade wegen der raffinierten Luftzirkulation, die stets eine frische Brise durch die Räume ziehen ließ. Auf der gegenüber liegenden Straßenseite gibt es eine Dachfläche auf die man steigen kann. Von dort gelingt es besonders schöne Aufnahmen zu machen.

Natürlich quatscht uns sofort ein Händler an. Er spricht sehr gut Deutsch und hat einen Hemdenladen gleich unten links. Steffi marschiert mit ihm in seinen Laden. Dort versucht er ihr ein Sackhemd anzudrehen. Billow mahnt uns zur Eile. Werner pfeift ihn zurück. Wir haben ihn und das Auto für den ganzen Tag gebucht und bezahlt und wenn Steffi hier schauen möchte, dann soll sie das tun. Und wenn sie das die nächsten zwei Stunden tut ist das auch ihre Sache. Es ist immer das gleiche mit solchen Fahrern. Sie würden gerne ihr Programm so schnell wie möglich abspulen und dann zu Verwandten oder Freunden fahren, die sie hier haben. Kann er ja auch, aber erst wenn wir alles gesehen haben was auf unserem Programm steht. Die Geschwindigkeit in der dies passiert bestimmen aber wir. Nachdem Werner ihn diesbezüglich eingenordet hat geht’s weiter zum Amber-Fort, das auf einem Bergrücken über dem Tal thront. Hinter dem Fort führt ein Fahrweg bis zum Eingang des Forts. Billow parkt das Auto und wartet auf uns. Wir gehen ein paar Meter bis wir den großen Innenhof der ausgedehnten Palastanlage betreten. Sofort haben wir fliegende Händler im Schlepptau, die uns Bücher, Schmuck oder geschnitzte Armreifen verkaufen möchten. Danke, kein Bedarf. Durch das gegenüberliegende Tor marschieren bunt bemalte Elefanten mit chinesischen Touristen auf dem Buckel. Gleich links neben uns befindet sich in zwei Metern Höhe eine Fläche an der die Touris absteigen. Von einem darüber liegenden Balkon beschallt verrückte Live Musik die Umgebung. Steffi versucht nun den mitgebrachten Apfel los zu werden. Sie zieht ihn aus der Tasche und schon kommt ihr freudig lächelnd ein Fanti entgegen.

Jetzt, so nah, verlässt sie dann doch der Mut. Werner versichert ihr, der Elefant will den Apfel fressen, nicht sie. Ein Händler nimmt sie an der Hand und führt sie nah an den Elefanten. Dort traut sie sich den Apfel in den Elefantenrüssel zu legen, Auge an Auge! Danach will sie aber doch schnell weg von diesem Riesenvieh. Wir möchten jetzt den oberen Teil der Anlage besichtigen. Es geht durch viele Gänge, fast wie ein Labyrinth. Manchmal endet der Gang auf einem einsamen Balkon. Wir suchen uns den richtigen Weg und schließlich kommen wir ganz oben am Spiegelsaal an. Er enthält silberne, blaue und orange Spiegel in verschiedenen Formen. Blumenmuster wechseln sich ab mit Ornamenten. Von diesem höchsten Punkt des Forts schweift unser Blick über die Palastanlage, die aus mehreren treppenförmig ansteigenden Höfen besteht. Die unterschiedlichen Ebenen, durch hohe Mauern getrennt, sind in mehreren Bauabschnitten zwischen 1600 und 1727 entstanden. Die ausgezeichnete  strategische Lage wird von hier oben besonders deutlich. Von hier aus hatte man die Kontrolle über den Gebirgsdurchlass zum Königreich der Kacchwaha-Maharadjas von den Mogulgebieten im Norden her genauso wie über den zweiten Pass in Richtung im Süden - wo später Jaipur entstand. Nach fast zweistündiger Besichtigung kommen wir zurück zum Auto. Es geht die steile Straße nach unten und durch den Ort Amber. Dort werden bereits die Elefanten nach Hause geritten. Bis 10, maximal 11 Uhr müssen sie Touris nach oben schleppen, dann ist es für sie zu heiß. Ein paar baden bereits im See. Nun haben wir Jaipurs Stadtpalast auf dem Programm. Billow quatscht uns zum zweiten Mal an, da er uns lieber zu einem guten Freund eines guten Freundes fahren möchte. Dieser hätte hier in der Nähe einen besonders günstigen Laden, für was auch immer. Wir haben keine Lust herauszufinden ob es sich dabei um Schmuck oder Teppiche oder beides handelt und wie viel Provision er dafür bekommt. Er soll uns bitte in den Stadtpalast fahren. Nach einigen Kilometern fängt er noch mal an, wie es denn nun wäre mit dem guten Freund und dessen Geschäft.

 

Werner macht ihm deutlich, dass es keinen Sinn macht dort hin zu fahren, da wir nichts kaufen werden. Billow mault noch etwas nach, tut aber dann doch widerwillig wie ihm geheißen. Am Stadtpalast steigen wir aus und machen mit ihm als Abholzeit 14 Uhr aus, gleich auf dem Parkplatz vor dem Palast. Es ist kurz vor 11 Uhr, so haben wir genügend Zeit und er muss nicht hier auf uns warten. Werner fragt ihn dreimal, ob er das auch wirklich verstanden hat: 14 Uhr + Parkplatz. Er antwortet: „Yes, yes, no problem“. Für den Eintritt in den Stadtpalast werden uns 600 Rupien pro Nase abgenommen, das kommt uns sehr teuer vor. Der prächtige Stadtpalast im Zentrum von Jaipur ist riesig und für die Öffentlichkeit heute teilweise zugänglich. In den anderen Teilen wohnen noch die Nachfahren der Rajas. Ist das Oberhaupt im Haus anwesend, wehen seine Fahnen hoch über den Dächern. Sind eine große und eine kleine Fahne sichtbar, bedeutet dies die Anwesenheit des Maharaja. Ist nur die große Fahne oben, ist der Maharaja gerade auf Reisen. So konnten früher auch weit entfernte Bittsteller sehen, ob sich der Weg zur Audienz nach Jaipur lohnte oder nicht. Diese Sitte hat man beibehalten. Das machtpolitische Selbstbewusstsein des Erbauers, Jai Singh II, wird bei diesem Prachtbau besonders deutlich. Hatte man früher auf Bergrücken gebaut, mit festungsartigen und wehrhaften Bauten, so siedelte man sich hier ungeschützt in der offenen Ebene an. Wir durchstreifen auch das Palastcafé. Dort hängen Bilder des Maharaja und seiner Familie sowie Fotos von Prinz Charles und Lady Di, die hier zu Besuch waren. Im Textilmuseum kann man Gewänder des 17. und 18. Jahrhunderts besichtigen. Das Waffenmuseum mit seinen Säbeln, Kanonen, Gewehren, Rüstungen und sonstigen Tötungsutensilien beeindruckt uns. Nach einer guten Stunde Besichtigung verlassen wir den Stadtpalast um noch etwas von Jaipur zu sehen.

Vor dem Stadtpalast gibt es einen Platz auf dem sich viele Bettler und verwahrloste Menschen befinden. Einige hausen in Zelten hier auf dem schlammigen Gelände. Wir gehen an einer Latrine vorbei, die jämmerlich zum Himmel stinkt. Noch einmal kommen wir am Palast der Winde vorbei. Die Händler sind unbeschreiblich lästig. Wir erhöhen unsere Schrittge- schwindigkeit um nicht in die Läden gezogen zu werden. Am ersten Kreisverkehr bleiben wir stehen und beobachten die Stimmung. Die Altstadt von Jaipur ist wie alle indischen Zentren: Chaotisch. Auf der anderen Straßenseite hocken Blumen- händler. Sie sind gerade dabei prächtige Blüten auf Fäden aufzuziehen um damit Blumen- kränze zu machen. An Schmuck- und Schuhläden vorbei geht es bis zu einem Gemüsemarkt. Dort quatscht uns ein Gemüsehändler an und erklärt uns, dass es sich bei dem Zeug vor uns um eine besondere Art von Melonen handelt. Wir tauschen ein paar Sätze aus, da wir denken dass er einfach nur freundlich ist. Er lächelt uns an und meint er hätte einen „Nice Shop“ gleich um die Ecke. Wir lehnen dankend ab. Wieder bloß so ein Heini, der uns von der Seite anquatscht, nur um etwas zu verkaufen. An einem der Stadttore angekommen wechseln wir die Straßenseite und kehren um. Werner denkt, dass dies die Straße ist, in der er vor Jahren in dieser wahnsinnig guten Konditorei war. An einem Textiliengeschäft kann Steffi nicht mehr widerstehen. Also rein in den Laden. Ein junger Händler zeigt uns eine Bluse, ein Hemd und eine Tunika nach der anderen, alle gefühlvoll die Farben und Muster betreffend auf Steffi abgestimmt. Steffi probiert ein Teil nach dem anderen an. Nach 45 Minuten bleiben vier schöne Stücke übrig.

 

Jetzt geht es nur noch um den Preis. Er beginnt bei 2.400, wir bei 1.000. Es folgt das übliche Spiel. Am Ende stehen wir auf, packen unsere Sachen und machen Anstalten den Laden zu verlassen. Also gut, er willigt ein. Für 1.200 Rupien gehören die vier Teile Steffi. Steffi, Werner und der Händler sind happy, was will man mehr? Einige Meter weiter ist die von Werner angepriesene Konditorei. Ein vollbärtiger Inder mit Turban öffnet uns vornehm die Eingangstüre. Der Laden brummt. Im hinteren Teil befindet sich ein gutes Restaurant und vorne der Verkaufsraum mit unheimlich leckerem Zeug. Man weiß zuerst gar nicht was man nehmen soll, hmm! Jeder von uns nimmt einen Kuchenteller voll Süßigkeiten. An einem der Stehtische verdrücken wir ein Teil nach dem anderen. Steffi verdreht die Augen. Sie isst zwar sonst nichts Süßes, aber das hier muss einfach sein. Danach holt sie sich noch eine Lassi, die hier auch ganz frisch zubreitet wird. Sie meint, dies sei die beste, die sie jemals getrunken hat. Was, so spät ist es schon? Nur noch 15 Minuten bis zum Treff mit Billow, na dann los. Wir beeilen uns. Aus einer Moschee quellen hunderte Menschen heraus. Einige davon sind arg verstümmelt und verkrüppelt, ein Bettler hat einen Elefantenfuß. Steffi verdreht erneut die Augen. Wir gehen rasch durch die herausströmende Menschenmasse, so haben Taschendiebe diesmal keine Chance. Kurz nach 14 Uhr treffen wir am vereinbarten Treffpunkt ein. Billow ist weit und breit nicht zu sehen. Ums Eck herum befindet sich noch ein Parkplatz, vielleicht steht er da? Auch hier finden wir ihn nicht. Er hat uns versetzt. Wahrscheinlich hat es ihm nicht gefallen, dass wir nicht zu seinem Freundes-Freund fahren wollten. Nachdem wir beide Parkplätze zweimal abgesucht haben, beschließen wir um 14 Uhr 30 mit einer Motorrikscha zum Hotel zurück zu fahren.

 

Es ist wieder einmal ein wilder Ritt durch den chaotischen Verkehr. Am Hotel angekommen fragen wir den Rikschafahrer, ob er denn ein gutes Restaurant für das Abendessen kennen würde. Er soll uns um 19 Uhr abholen. Jetzt soll der Pool noch mal so richtig ausgenutzt werden. Platsch! Um 16 Uhr steht Billow vor dem Hotel. Er entschuldigt sich, angeblich ist das Auto kaputt gewesen. Werner klärt mit ihm die morgige Abfahrtszeit. Pünktlich um 19 Uhr steht die Motorrikscha vor dem Hotel. Es wird gerade dunkel als wir in die Stadt rattern. Nach 30 Minuten Fahrt halten wir vor dem Restaurant Ninos an. Es ist von außen total dunkel. Auch die dunkle Eingangstüre würde uns nicht ermutigen dort rein zu gehen. Werner fragt sich, ob das überhaupt offen hat. Siehe da, die Türe lässt sich öffnen und dahinter befindet sich ein sehr schönes Restaurant in dem auch bereits die Hälfte der Tische belegt ist. Ober mit weißen Hemden und schwarzer Fliege weisen uns einen Tisch zu. Steffi lässt sich von Werner dazu überreden hier mal ein Tandoori-Huhn zu versuchen. Ein Tandoori ist ein indischer zylindrischer Holzkohleofen aus Lehm. Er sieht in etwa so aus wie ein Fass ohne Deckel, in dem das Essen über Holzkohle gehängt wird. Heute wird das Wort Tandoori auch häufig für eine indische Gewürzmischung benutzt, die etwa zu gleichen Anteilen aus gemörsertem Kreuzkümmel, Koriander und rotem Cayennepfeffer besteht. Die Marinade besteht zusätzlich aus Joghurt, Knoblauch, Zwiebeln, Ingwer, Salz und Zitronensaft. Zum Tandoori-Huhn gibt es Reis, scharfes Gemüse, diverse Soßen und Garlik-Naan¸ dazu ein Bierchen. Wir essen äußerst lecker. Nach 1 ½ Stunden gehen wir zu dem kleinen Parkplatz neben dem Restaurant. Unser Rikschafahrer hat hier auf uns gewartet und bringt uns zurück zum Hotel. Natürlich hat er sich ein schönes Trinkgeld für seine Pünktlichkeit und den guten Tipp verdient. Auf unserer Veranda sitzen wir noch ein Weilchen und genießen den lauen Abend.

30. August 2008:
Erst um 10 Uhr ist heute Abfahrt, so können wir ausgiebig im feudalen Frühstücksraum des Hotels genießen. Sogar eine frische Nelke steht auf unserem Tischchen. Steffi futtert und futtert. Sie hat viele Tellerchen vor sich aufgebaut – mit Käseomelett, Porridge, Plätzchen, und frischen Früchten. Nach einer Viertelstunde Futtern beginnt sie zu jammern, sie hat sich wohl doch zuviel vom Büffet geholt. Tapfer hält sie durch und schlingt alles in sich rein. Wir hoffen, dass das halb marode Auto ihr Gewicht noch schafft. Zum Abschied streckt uns der schleimige General Manager des Hotels seine fettige Hand entgegen. Billow wartet bereits vor dem Hotel. In östlicher Richtung verlassen wir Jaipur. Bald haben wir die letzten Häuser hinter uns gebracht. Es geht durch landwirtschaftlich genutzte Gebiete. Auf den meisten Feldern sehen wir etwas, von dem wir nicht wissen was es ist. Aber wahrscheinlich ist es Hirse. Billow können wir nicht fragen, so gut ist sein Englisch nicht. Zwischendurch fahren wir an Ziegelbrennereien vorbei und sogar Betonsteine werden hier produziert. Fuhrwerke mit Kamelen transportieren Holz, auf den großen Bäumen sitzen dutzende grüner Papageien. Dann und wann liegt ein überfahrenes Heiligtum (eine Kuh) oder ein überfahrener Esel neben der Schnellstraße. Wir haben heute 225 Kilometer bis Agra vor uns. Bei jeder  Baustelle staubt es gewaltig. Dabei ist der Staub so dicht, dass man nicht weiter als 10 Meter sieht. Manchmal kommen drei Fahrzeuge auf unserer Straßenseite entgegen. Es gibt halt keine Verkehrsregeln hier… Auch in den kleineren Nestern durch die wir fahren gibt es Menschenmassen. Da die Strecke heute schnurgerade und langweilig ist, pausieren wir bereits nach 100 Kilometern. Steffi braucht noch nichts zu essen. Dann weiter in der großen Hitze bis nach Fatehpur Sikri. Dort angekommen geht es mit einer Motorrikscha den Berg hoch zur verlassenen Stadt des Großmoguls Akbar. Eine alte Legende berichtet von der Entstehung der "Stadt des Sieges" in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts: der kinderlose Großmogul Akbar betete in der Klause des berühmten Eremiten Salim Chisti um die Geburt eines Sohnes. Der Heilige prophezeite ihm drei Söhne. Als tatsächlich wenig später ein gesundes Kind geboren wurde, errichtete Akbar am Wohnsitz des Eremiten aus Dankbarkeit eine ganze Stadt - Fatehpur Sikri. In wenigen Jahren war die neue Residenz fertig gestellt. Als erstes Bauwerk entstand die Große Moschee Jami Masjid, in deren Hof dem Heiligen ein Mausoleum errichtet wurde. Noch heute pilgern indische Frauen hierher, um für männliche Nachkommen zu beten. Um sie zu betreten müssen wir am Eingangstor die Schuhe ausziehen. Das ist auch gut so, denn sonst hätte man nicht die Gelegenheit sich auf den 60 Grad heißen Steinen die Fußsohlen zu verbrennen.

Werner hat wenigstens noch Socken an aber Steffi tippelt schnell auf dem heißen Boden um den ausgelegten, schmalen Kokosläufer zu erreichen, der in der Mitte ausgelegt ist. Bei der Besichtigung werden wir natürlich von Kindern, Guides und Postkartenverkäufern belästigt. Wir wimmeln alle ab. In der Mitte der Moschee befindet sich das Mausoleum des Eremiten. Um ihren Wunsch zur Geburt eines Sohnes zu bekräftigen binden die Frauen rot-gelbe Bändchen an das Mausoleum. Ein Typ setzt uns ein Plastikhütchen auf, führt uns durch das Mausoleum und bindet uns 5 Minuten lang ein paar Märchen auf. Kaum haben wir das Mausoleum verlassen möchte er uns zu seinem Shop führen. Wir bieten ihm 50 Rupien für seinen geleisteten Dienst an aber die möchte er nicht nehmen. Wir sollen lieber in seinen Shop gehen. Das wiederum möchten wir nicht. Dann möchte er 300 Rupien für seine „Führung“. Wir grinsen, halten ihm noch mal die 50 Rupien hin und sagen ihm er soll das Geld jetzt nehmen, weil wir es sonst wieder einstecken. Er schnappt sich die Kohle und verschwindet. Wir verschwinden auch, mit einer anderen Rikscha den Berg hinunter, zurück zum Auto. Jetzt noch ein halbes Stündchen dann sind wir in Agra. Agra selbst ist keine schöne Stadt. Man vermutet nicht, dass es hier eines der Weltwunder gibt. Sie liegt am Ufer des Flusses Yamuna im Westen des Bundesstaats Uttar Pradesh. Agra befindet sich auf 169 m ü. NN und hat 1,5 Millionen Einwohner. Das 4* Hotel Clark Shiraz empfängt uns mit eisiger Klimaanlage im Foyer und dem lokalen Führer von Asia Inside. Nach Absprache unseres örtlichen Programms inspizieren wir unser Zimmer. Steffi liest in einer Broschüre, dass es hier eine Dachterrasse gibt von der man das Taj Mahal sehen kann. Mit dem Aufzug hoch in den 5. Stock, schon stehen wir in der Bar. Tatsächlich, von hier sieht man die Kuppel des Taj Mahal aus dem vielen Grün der Umgebung herausleuchten. Der Barkeeper ist so freundlich uns extra die Dachterrasse aufzusperren. Die Sonne steht bereits tief und wir genießen die einmalige Aussicht. Über den Baumwipfeln schwirren lärmend die Papageien herum. Schräg unter uns ist der Pool, den werden wir auch noch ausgiebig besuchen. Nun steht uns der Sinn nach einer Erfrischung. Wir nutzen die gähnende Leere der Bar und lassen uns von drei hübschen Inderinnen Mocktails servieren und futtern eine ganze Packung Erdnüsse dazu, im Hintergrund das Taj Mahal. Zurück auf dem Zimmer essen wir noch einen Fruchtriegel und ein paar Trockenfeigen, somit sparen wir uns heute das Abendessen. Wir legen uns lieber früh schlafen, da morgen um 4 Uhr 45 der Handywecker klingelt.