16. August 2008:
Werner frühstückt heute den bunten Medikamentenmix oral und anal. Heute fahren wir besser im Jeep mit. Der Fahrer räumt ein wenig die Motorradersatzteile und Gepäckstücke zur Seite um uns Platz zu machen. Es geht weiter den Himalaja hoch, den Chandra Fluss entlang. Am Straßenrand treffen wir ab und zu auf Straßenbauarbeiter. Immer sind auch Frauen darunter. Ihr Kopf ist mit Tüchern verhüllt und sie tragen Mundschutztücher. Die Landschaft ist sehr grün. Erneut fängt es an zu regnen. Die Straßenbaugesellschaft Himank hat witzige Schilder aufgestellt, die uns regelmäßig schmunzeln lassen: „Driving with Whisky is very risky“ oder „If you are married divorce speed“ oder „Enjoy the scenery and protect the greenery“. Kurz vor einer großen Brücke müssen wir eine Polizeikontrolle über uns ergehen lassen. Nebenbei gibt es Chai. Werner hustet nur noch, ihm geht’s richtig schlecht. Trotz Medikamenten kommt das Fieber zurück. Die Straße windet sich nach oben. In einer Kehre steht ein Haus mit einem Schild: 4.000 m. Am Horizont erkennen wir einen schmalen Streifen blauen Himmel. Es wird doch nicht irgendwann mal die Sonne scheinen? Selbst in über 4.000m Höhe stehen am Wegesrand noch lila Blumen. Es geht höher.

Wir erklimmen den Baralacha La Pass, 4.900 m hoch. Er verbindet das Lahaul Tal im Bundesstaat Himachal Pradesh mit dem Hochland von Ladakh im Bundesstaat Jammu/Kashmir. Oftmals bildet der Baralacha La eine Wetterbarriere für den Monsun. Vor dem Pass, in Lahaul, sieht man den Einfluss des Monsuns noch deutlich, die Landschaft ist recht grün und der Himmel zum Teil längere Zeit bewölkt. Demgegenüber hoffen wir hinter dem Pass, in Ladakh eine trockene Hochwüste zu erwarten. Max kommt jubelnd auf uns zu: „Juhu, wenn ihr das geschafft habt machen euch die anderen Pässe auch nichts mehr aus“. Na ja, Euphorie ist auch eine Art der Höhenkrankheit. Nach der Passhöhe fahren wir einige Kilometer und halten an Jurten ähnlichen Zelten an.

Eines ist ein kleines Café. Wir gehen rein und genießen die Wärme dort drinnen. Werner isst ein Omelett, Steffi wird gezwungen eine Nudelsuppe zu essen, die im Nachhinein dann doch sehr gut schmeckt. Die anderen essen auch eine Kleinigkeit, nur der ältere Japaner liegt auf der Matte. Er hat einen Bauch als wäre er schwanger. Vor dem Zelt scheint jetzt sogar ein bisschen die Sonne.

 

Steffi genießt die Strahlen und quatscht dabei mit einer Nepalesin, die hier Wollmützen und Handschuhe verkauft. Die Berge sind sehr schroff und ockerfarben. Die Fahrt geht an steilen Hängen entlang. Unter uns gräbt sich ein Fluss durch eine tiefe Schlucht. Der Fahrer unseres Jeeps erzählt uns, dass er bei der letzten Tour einen Tanklastwagen gesehen hat, der dort runtergerauscht ist. Es hat 4 Männern das Leben gekostet. Wir gelangen zu einer Grossbaustelle. Teer wird mit primitivsten Mitteln heiß gekocht und mit Schubkarren und Rechen auf der Staubpiste verteilt. So arbeiten sie sich Meter um Meter voran. Lange geht es die Sarchu Ebene entlang bis wir zum Goldrop Zeltcamp auf 4.200 m Höhe kommen. Hier wird jetzt ein Gruppenfoto der Motorradgruppe geschossen. Danach werden die Zelte verteilt. In den Zelten kann man sogar stehen. Jedes Zelt hat einen Vorbau in dem sich sogar eine Toilette und ein funktionierender Wasserhahn befinden, de Luxe. Im Zelt befinden sich richtige Bettgestelle mit Matratzen und Wolldecken. Die sind auch nötig, da es hier oben im Freien sicherlich bitterkalt wird. Blauer Himmel als wir um 18 Uhr in das große Versorgungszelt stapfen um einen Tee zu ergattern. Um 19 Uhr soll es etwas zu Essen geben. Es hat sich auch noch eine andere, kleinere Motorradgruppe hier eingefunden, eine Mischung aus Schweizern und Deutschen. Auch ein Einzelreisender aus Tirol hat sich mit einer geliehenen Royal Enfield hier eingefunden. Er versucht sich alleine durchzuschlagen. Wir staunen, weil wir diese Kisten generell nicht ohne Mechaniker hier fahren möchten. Es ist einfach zu oft etwas kaputt an den Motorrädern. Im Versorgungszelt ist es arschkalt. In der Mitte des Zeltes steht zwar ein Ofen, aber der scheint nicht zu funktionieren. Vom offenen Boden des Zeltes steigt es sehr kalt herauf, genau das Richtige für Werners Fieber. Pünktlich kommt das Abendessen: eine warme Suppe und ein Büffet von dem sich jeder selbst bedienen kann. Nach dem Abendessen reicht man uns eine heiße Wärmflasche und damit verziehen wir uns schnell in unser Schlafzelt. Draußen pfeift der eisige Wind. Werner hustet und hat Schnupfen. Er verzieht sich unter drei dicke Wolldecken. Natürlich sind diese Decken ordentlich schwer, das heißt darunter kann man sich nicht mal mehr umdrehen. Das Bett ist für Werner zu kurz. Wenn er gerade im Bett liegt stoßen seine Füße an das Gitter. Also legt er sich halb schräg ins Bett. Werner röchelt die ganze Nacht vor sich hin, er kann kaum schlafen. Sobald er sich auf die Seite legt bekommt er keine Luft mehr. Er muss in der Nacht siebenmal pinkeln, was auf 4.200 Höhe in der Eiseskälte auch nicht besonders Spaß macht. Es ist eine Tortur ins Bett reinzukommen, er schnauft wie ein Walross. Kaum schläft er ein, wacht er wieder auf, weil er keine Luft bekommt.

17. August 2008:
Irgendwann ist auch diese Nacht vorbei. Werner ist froh als es endlich hell wird. Zum Frühstück gibt es ein paar fade Toastbrote. Im Versorgungszelt hat es höchstens 0 Grad. Jeder schnappt sich schnell einen Tee. Auf den Motorradsätteln liegt gefrorenes Eis. Das Gepäck wird eingeladen und wir machen uns startklar. Der einzige der fehlt ist der ältere Japaner. Max stapft zum Zelt und fragt was los ist. Er ist nicht erkältet, sondern ihn hat die Höhenkrankheit erwischt. Er kann kaum Laufen. Sieben Kilometer weiter gibt es eine Militärstation, dort soll es eventuell einen Arzt mit Sauerstoff geben. Max fragt auch Werner wie es ihm geht. Werner sagt ihm, dass er die Nacht nicht geschlafen hat. Er würde Werner und den Japaner am Liebsten zurück nach Manali schicken. Damit wäre nicht nur die Tour für uns vorbei, sondern wir müssten auch die Schlammpiste wieder runter, um dann dort unten im Monsun zu stehen. Darauf hat Werner natürlich gar keine Lust. Da wir auf alle Fälle zur Militärstation müssen, einigen wir uns darauf, dass sich Werner dort vom Arzt untersuchen lassen werde. Eine Weiterfahrt für Werner kommt dann nur in Frage, wenn der Arzt dies befürwortet. Okay, so machen wir’s. Der Japaner kommt noch mit in den Jeep und so fahren wir bis zu der Militärstation. Es handelt sich um einen kleinen Militärflughafen mit staubiger Landepiste, ohne Flugzeuge. Es sind derzeit höchstens zehn Mann hier oben stationiert. Der Japaner schafft es nicht mehr bis zum Behandlungszimmer ohne gestützt zu werden. Dort legen sie ihn erstmal auf das Bett. Sie machen seine Jacke und sein Hemd auf. Nachdem der Arzt kurz mit ihm gesprochen hat bekommt er eine Sauerstoffmaske über sein Gesicht gezogen. Nach ein paar Atemzügen wird sein Blick gleich etwas klarer. Er muss nun zwanzig Minuten durch die Maske atmen. In der Zwischenzeit wird Werner untersucht. Der Arzt hört seine Lunge ab und misst Blutdruck. Er fragt, ob er Symptome der Höhenkrankheit habe und meint am Ende das ist eine ordentliche Erkältung. Er sagt aber es sei kein Problem im Jeep auf den folgenden 5.400 m hohen Pass zu fahren. Max und Werner sind erleichtert.

 

Max telefoniert mit Asia Bike Tours in New Delhi um den Rücktransport des Japaners zu veranlassen. Mehrmals reißt die Verbindung ab. Nach insgesamt einer Stunde können wir weiter fahren. Wir hocken zwar jetzt im Auto aber das macht nichts, die Landschaft ist trotzdem überwältigend. Der Fahrer des Jeeps hält bei den besten Fotomotiven desöfteren extra für uns an. Einmal können wir sogar „Asian Ibex“, also asiatische Steinböcke, aus der Nähe fotografieren. Es geht eine Schlucht entlang an deren Ende es steil nach unten geht. Die Bremsen des Jeeps quietschen. Links und rechts der Schlucht geht es in tief ausgeschnittene Canyons, die sich bizarr in den Boden einfräsen, sieht toll aus. Am Ende der Canyons tun sich Riesenberge auf. Kurz nach einer klapprigen Eisenbrücke steht der Rest der Gruppe. In einer Jurte gibt es etwas zu futtern. Die Jurte ist hell und warm. Die Sonne scheint auf das Zeltdach. Die Jurte hat einen Anbau, mit Matzratzen und Kissen ausgelegt. Heinz und Werner legen sich gleich nach hinten um uns ordentlich auszuruhen. Auch die Mechaniker hauen sich gleich auf’s Ohr. Die anderen essen heiße Nudelsuppe. Steffi stört der Petroleumgestank in der Jurte und sie zieht es vor draußen ein wenig umher zu laufen. Nach der ausgiebigen Pause erwartet uns nun der zweithöchste befahrbare Pass der Welt, der 5.400m hohe Taglang La. Von Süden her kommend geht es eine endlose Sand- und Schlammpiste stetig bergan. Viele Schlaglöcher, es schüttelt uns hin und her. In weiten Bögen zieht sich die Straße die Berge hinauf. Manchmal sehen wir auf der gegenüberliegenden Seite eines Berghanges einen Lkw fahren, der ganz klein aussieht. Die Straße ist nur mehr schmal, so dass wir nur noch schlecht überholen können. Je weiter man kommt, desto dünner wird die Luft. Auf der Passhöhe steht ein Häuschen mit jeder Menge bunter, im Wind flatternder Gebetsfahnen. Gebetsfahnen sind im Gebiet des tibetischen Kulturraumes an jedem Bergpass und auf jedem Gipfel zu finden. Sie haben in der Regel mit der Reihenfolge von links nach rechts die fünf Farben blau, weiß, rot, grün und gelb. Die Anzahl fünf spielt im tibetischen Buddhismus eine zentrale Rolle und verkörpert die vier Himmelsrichtungen sowie das Zentrum. Die Farbe blau steht dabei für den Himmel, weiß für die Wolken, rot für das Feuerelement, grün für das Wasserelement und gelb für das Erdelement. Die Gebetsfahnen tragen oft das traditionelle tibetische Mantra "Om mani padme hum". Dieses soll für das Glück aller fühlenden Wesen mit dem Wind in die Welt hinausgetragen werden. Von der Passhöhe haben wir spektakuläre Blicke in die Hochebene. Die Luft ist klar, der Himmel ist blau. Ganz weit im Norden sehen wir die ersten 7.000er. In dieser Höhe halten wir es nicht länger als 15 Minuten aus. Alle keuchen und japsen nach Luft.

 

Einen Kilometer nach einer Brücke sehen wir unser heutiges Ziel, das Zeltlager Rumtse auf 4.400 m Höhe. Max fährt glatt vorbei. Mukesch schwingt sich auf das Motorrad um ihn einzuholen und zurück zu bringen. Mehr und mehr erhärtet sich der Verdacht, dass er diese Tour noch nie gefahren ist. Wir bekommen ein kleines, windiges Zweimann-Zelt zugewiesen. Vor die Zelte werden stinkende Wolldecken und Schlafsäcke geschmissen. Jeder schnappt sich ein paar und verstaut diese so gut es geht in die engen Zelte. Werner schnappt sich gleich vier von diesen Schlafsäcken, weil er genau weiß, dass Steffi sich vor diesen stinkenden Schlafsäcken ekelt. So hat er einen in Reserve um sie nachts zuzudecken. Er platziert Steffis Schlafsack hinter seinem, so kriegt Steffi das gar nicht mit. Damit erspart man sich Diskussionen in dieser Höhe, die eh nichts bringen. Es ist anstrengend in dieser Höhe die Decken und Schlafsäcke auszulegen. In den Zelten liegen auf dem Boden dünne Schaumstoffmatzratzen. Jeder ist begeistert und japst nach Luft. Es ist zwar noch hell aber bereits jetzt saukalt, insgesamt genau das Richtige für Werner mit seiner Erkältung. Hinter den Zelten steht das Klozelt. Drinnen ein Loch im Boden. Alles ziemlich primitiv. Vor den Zelten plätschert ein breiter Bach entlang an dem wir versuchen uns notdürftig zu waschen. Wir watscheln vor ins Speisezelt. Auf niedrigen Campinghockern sitzen wir an niedrigen Tischen. Der Boden ist sehr kalt. Zuerst kommt eine scheußliche Maggi-Suppe. Werner beendet das Abendessen nach einem Löffel und sucht das Schlafgemach auf. Steffi hat noch Hunger und bleibt sitzen. Es wird noch ein opulentes Essen aufgefahren, mit jeder Menge Reis und Hähnchen, wobei auch Kopf und Kragen dabei sind. Dazu eine fette Soße, ein Topf Kartoffeln und Spinat. Unglaublich, was aus dem kleinen Kochzelt alles heraus kommt. Den Nachtisch stellt ein leckerer Bisquitkuchen dar. Leider ist der Kuchen mit einer Creme gefüllt, die sich als Darmschleuder heraus stellt. Werner ist gerade eingeschlafen, als Steffi sich ins Zelt quält. Es ist Vollmond, sternenklar und dementsprechend kalt. Steffi lässt alle Klamotten an, auch die Schuhe. Nach einer Stunde wacht Werner auf, da sie frierend vor sich hin wimmert. Sie friert wie ein Hund. Werner zieht ihr den vorsorglich zurecht gelegten (stinkenden) Daunenschlafsack über den Körper und siehe da: 5 Minuten später wohliges Grunzen ;-)

18. August 2008:
Alle sind froh, dass diese Nacht vorüber ist. Mit einen freundlichen „Good Morning Sir“ bringt man uns Tee ans Zelt. Wir krabbeln raus und kriegen noch eine Schale mit lauwarmem Wasser für die Gesichtswäsche in die Hand gedrückt. Werner schnappt sich ein Campinghockerchen und setzt sich in die Sonne. Es gibt eine Art Milchreis in den wir uns noch etwas Pulverschokolade mischen. Irgendwas muss man ja in den Magen kriegen. Der Kaffee ist abscheulich, na ja, wir haben sowieso ein paar Kilo zu viel. Werner hockt sich ins Auto und wartet. Es gibt wieder lustige Szenen beim Ankicken der Motorräder zu beobachten. Holm versucht ungefähr zwanzigmal sein Motorrad zum Laufen zu bringen. Schnaufend und entnervt gibt er auf, sein Gesicht ist ganz rot. Er bekommt Hilfe von einem vom Zeltcamp. Dieser kickt ebenso ungefähr zwanzigmal, bis auch ihm die Puste ausgeht. Zwanzig mal kicken in dieser Höhe ist eine unglaubliche Anstrengung. Dann kommt Mukesch. Er dreht ein wenig am Gashahn, sucht den oberen Totpunkt, tritt einmal locker durch, dann noch mal feste und die Maschine läuft. Er ist der Kleinste von allen, nur zirka 1,50 m groß, aber er hat halt Benzin im Blut. Endlich geht es weg von Rumtse. Die Sonne scheint. Kurz nach Rumtse beginnt Ladakh. Was jetzt folgt ist eine 80 km lange Abfahrt auf hervorragender Straße durch eine wunderschöne Landschaft mit schneebedeckten 6.000ern, Ladakhi Dörfern und Tempeln am Wegesrand. Um die kleinen Dörfer wird Getreide angebaut.

Die Menschen sind freundlich und grüßen uns beim Vorbeifahren. Die Häuser sind rechteckig, weiß getüncht und auf den Dächern liegt Stroh und getrocknete Kuhfladen. Diese werden als Brennmaterial fürs Kochen und Heizen verwendet. Wir halten für einen Fotostopp an bizarren Felsformationen, die aussehen wie Dinosaurierrücken. 30 km vor Leh treffen wir auf den Oberlauf des Indus, die Lebensader Ladakhs. Er entspringt am Fuße des Heiligen Berges Kailash in Tibet und ist mit 3.180 km der längste Fluss auf dem indischen Subkontinent, und der wichtigste Strom Pakistans.

Wir durchfahren einige Ortschaften mit Verkaufsständen. In einer Ortschaft sehen wir mannshohe Gebetsmühlen und oft geht es an Stupas vorbei. Stupas bezeichnen religiös, buddhistische Bauwerke und repräsentieren den Geist eines Buddhas. Manchmal enthalten sie Reliquien, Asche, Leichenteile oder persönliche Gegenstände heiliger Lamas. Der Ursprung geht zurück in die vorbuddhistische Zeit, wo sie sich in wenigen Jahrhunderten von prähistorischen Grabhügeln zu der heutigen Form entwickelten. Leider weiß Max davon überhaupt nichts zu erzählen. Anfangs dachten wir noch er hätte nur keine Lust. Aber inzwischen merken wir, dass er keine Ahnung hat, weder vom Buddhismus, noch von den vielen Klöstern hier, noch von vielen anderen Dingen. 10 km vor Leh rollen wir vorbei an den Klöstern Tikse, Shey und Hemis.

Unser neunmalkluger Hanjörg will gleich zu den Klöstern fahren. Aber Mukesch meint, wir sollen warten bis morgen. Morgen werden Taxen für uns organisiert und wir können uns das alles in Ruhe ansehen. So rollen wir durch das Ortszentrum bis zum Hotel Bijoo. Das Hotel liegt zentral, aber doch ruhig. Wir duschen ausgiebig mit heißem Wasser. Um 13 Uhr treffen wir uns zu einem Spaziergang durch Leh. Leh ist ein größeres Dorf mit annähernd 13.000 Einwohnern. Die verwinkelte Altstadt wird überragt vom alten Königspalast. Da Leh über einen inländischen Flughafen verfügt, stapfen hier natürlich auch viele andere Touristen rum. Die Hauptstraße ist gesäumt von Souvenirshops. Als wir einen Ganesh sehen, der uns gefällt, werden wir sofort in den Laden gezogen. Wir gehen aber gleich weiter um die Gruppe nicht zu verlieren. Auf dem Gehsteigrand sitzen Einheimische, die Obst und Gemüse verkaufen. Am Ende der Straße weist uns Max in ein Restaurant mit Dachterrasse. Der Blick von hier oben ist wunderschön. Auf der einen Seite sieht man den alten Königspalast, auf der der andern Seite sehen wir kleine Meditationshütten der Mönche und schließlich überblicken wir die Altstadt von Leh bis zu den schneebedeckten Berggipfeln in der Ferne. Wir bestellen zu Essen und warten, und warten, und warten. Es dauert fast 2 Stunden bis das Essen kommt. Nach dem Essen springen alle auf, jeder geht nun seinen eigenen Weg und möchte noch etwas von Leh sehen. Wir suchen den Zugang zu einem Tempel, aber im Altstadtgewirr finden wir ihn nicht. In der Altstadt gibt es auch Straßenverkehr und man muss aufpassen nicht über den Haufen gefahren zu werden. Es ist heiß hier und wir sind beide erschöpft: Steffi hat Durchfall (das war wohl die Creme des Kuchens von Rumtse) und Werner ist immer noch nicht ganz auf dem Damm. Deshalb machen wir uns bald auf den Rückweg ins Hotel. Wir gehen zurück über die Marktstraße, dort wo alte Leute versuchen ein wenig Gemüse zu verkaufen. Werner hat von Zuhause 10 alte Brillen mitgenommen um sie hier zu verschenken. Wir gehen in die Hocke, da die Leute am Boden hocken, zücken eine Brille und fragen eine Frau, ob sie die Brille haben will. Sie lacht und probiert die Brille auf. Als sie merkt, dass die Brille nicht passt lehnt sie höflich ab. Gleich kommt eine andere und probiert die Brille auf. Die Leute versuchen also nicht die Brille sofort einzusacken um damit an anderer Stelle ein Geschäft zu machen. Nach zwei bis drei mal Wechseln findet die Brille ihren neuen Besitzer. So werden wir eine paar Brillen los, den Rest verteilen wir morgen. Im Hotel setzen wir uns zur Erholung in den kleinen Garten. Es blühen Dahlien. Wir setzen uns unter ein kleines Apfelbäumchen und schnaufen durch. Da Leh auf 3.500m Höhe liegt, tut ein Päuschen mal ganz gut. Zurück im Zimmer besprechen wir auf dem Bett liegend den XDrive und schlafen dabei ein. Als es dreimal an der Türe klopft werden wir wach: „Mister, dinner, dinner“. Wir sind zu müde fürs Abendessen, putzen die Zähne und legen uns um 20 Uhr schlafen.

19. August 2008:
Um 7 Uhr bellen draußen die Hunde. Werner geht es immer noch sehr schlecht. Er überlegt die Reise abzubrechen, da er bereits mehrere Tage Fieber hat. Zum Frühstück gibt es Toast mit Eier. Werner verzichtet wie bereits die Tage zuvor auf das Frühstück. Er nimmt stattdessen zwei Gläser Mangosaft. Als die Gruppe die Eier serviert bekommt verzeiht sich Werner nach draußen, den Gestank der Eier hält er nicht aus. Steffi isst vier Scheiben trockenes Toastbrot und trinkt schwarzen Tee dazu. Zusammen mit dem bereits eingenommenem Immodium muss das ja helfen. Werner legt sich dann erstmal eine Stunde ins Bett. Er ist immer noch sehr schwach. Max hat einen örtlichen Führer für die Klöster organisiert und zwei Jeeps. Werner hat keine Lust den ganzen Tag im Bett zu verbringen und beschließt das heutige Programm mitzumachen, wird schon schief gehen. Draußen scheint die Sonne, das ist immer noch besser als im kalten Hotelzimmer vor sich hin zu siechen. Wir starten in den beiden Fahrzeugen zuerst zum Kloster Shey, der 560 Jahre alten, ehemaligen Sommerresidenz der Könige von Ladakh, 15 km südlich von Leh gelegen.

Um zum Kloster zu gelangen muss man einen steilen Weg nach oben. Werner keucht den anderen hinter her. Er schwitzt aus allen Poren und bleibt auf der Treppe am Eingang des Klosters sitzen. Von hier hat man eine tolle Aussicht auf die nahe Indusebene. Viele Stupas stehen im Flugsand der Bergwüste um das Kloster herum. Steffi erkundet mit den anderen das Innere des Klosters. Dann geht es weiter in den Fahrzeugen zum malerisch liegenden Hemis Kloster. Es gilt seit Jahrhunderten als eines der reichsten Klöster Ladakhs. Zum einen weil das Kloster historisch sehr gute Kontakte mit der Königsdynastie pflegte, zum anderen da es vor Plünderungen verschont war. Das Kloster bietet eine fast verwirrende Vielzahl an Kapellen und Tempelräumen mit Kulturgütern unschätzbaren Werts. Ladakhische Klöster bestehen unter anderem aus: Schutzgottheitentempel (Gonkhang), Versammlungsraum (Dukhang), Gotteshaus/Tempel (Lhakhang), Küche, Klosterhof, Wohnhäusern und Sockelbauwerk. Der Schutzgottheitentempel ist äußerlich meist am dunkelroten Anstrich erkennbar. Er ist Heimstatt für die zornvollen Erscheinungen der Schutzgottheiten, meist auch die 4 Wächterkönige genannt, deren Aufgabe ist es, das Kloster oder die Siedlung vor allen Dämonen, Feinden der Religion, widrigen Naturerscheinungen und Epidemien zu bewahren. Der Versammlungsraum ist eine geräumige, oft zweigeschossige Halle für die täglichen Zusammenkünfte der Mönche. Um das Kloster herum gibt es Gärten mit Wacholderbäumen und sogar Gerste wächst in dieser Höhe. Im offenen Klostervorhof  gibt es schöne, buddhistische Wandzeichnungen. In den Räumen des Klosters sitzen Mönche und lesen, wohl auch um die vielen Statuen und Wandmalereien zu bewachen. Einmal jährlich, in den Sommermonaten, findet hier das große Hemis Fest statt. Dann werden Masken und Gewänder im Klosterinnenhof zu religiösen Tänzen getragen. Nach ausgiebiger Besichtigung fahren wir zum Kloster Tikse. Tikse liegt auf einem Hügel. Bevor wir den erklimmen, lassen wir uns das Mittagessen in einem vegetarischen Gartenrestaurant zu Füssen des Klosters schmecken. Es ist sehr sonnig, vielleicht brennt das Werners Bazillen weg. Werner bestellt eine große Flasche Apfelsaft. Leider ist der Apfelsaft eisgekühlt, das kann er gar nicht brauchen. Er bestellt sich vier leere Gläser, gießt den Saft in diese und stellt das ganze in die Sonne. Nach 15 Minuten hat sich alles auf eine trinkbare Temperatur aufgeheizt. Prost! Juhu, heute schon nach 45 Minuten, statt nach 90 Minuten, kommt unser Essen. Wir sind froh nach dem Essen, mit unseren vollen Bäuchen, nicht den Hügel zum Kloster Tikse erklimmen zu müssen. Es gibt eine Straße auf der man bis zum Eingangstor hochfahren kann. Gleich dahinter liegt links ein kleiner Laden mit allerlei Wässerchen und Pillchen.

Die anderen stürmen gleich ins Kloster. Wir versuchen jedoch den tibetischen Medizinmann dieses Ladens zu finden. Da er nur Tibetisch spricht kommt noch ein Mädchen hinzu, das Tibetisch in Englisch übersetzen kann. Werner erzählt von seinem Leiden und nach kurzer Diagnose und Puls fühlen werden ihm vom Medizinmann zwei Tütchen mit verschiedenen Pillen überreicht. Von den Kleineren soll er gleich zwei nehmen, die Großen gibt’s immer abends. Heinz organisiert eine Wasserflasche um die zerkauten Pillen runter zu spülen. Es ist abartig scheußlich. Werner kennt das schon von einer früheren Tibetreise. Dort war er auch mal krank und das Zeug hat genauso eklig geschmeckt. Besonders die große Pille, die er abends nehmen muss, ist so abartig, dass es ihn hebt. Jetzt wollen wir auch etwas vom Kloster sehen. Zuerst geht es steile Treppen nach oben. Wir keuchen hoch wie eine Dampflokomotive. Das Kloster Tikse ist wirklich wunderschön. Wir gehen in einen hohen Raum, der oben herum noch eine Galerie hat.

Im Raum befindet sich die 15 m hohe Maitreya Buddhastatue¸ die größte Ladakhs. Wir gehen hoch auf die Galerie und stehen direkt vor dem Gesicht des großen Buddhas. Tikse wurde Anfang des 15. Jahrhunderts gegründet. Seine gegenwärtig 70 Mönche gehören dem buddhis-tischen Gelupka-(Gelb-mützen-) Orden an. Die Klosteranlage erstreckt sich über 12 Stufen oder Terrassen den Hügel hinauf. Zu ihr gehören unter anderem 10 Tempel, die wir ausgiebig besichtigen. In jedem finden sich uralte Statuen, Gemälde und Schätze. In einem stehen ungefähr dreißig Medizinbuddhas. Werner erklimmt die alten Holztreppen hoch bis auf das Dach des Klosters. Ganz oben ist die Bücherei in dem eine Amerikanerin einem Mönch Englischunterricht gibt. Ein anderer Mönch poliert die Yakbutter-Brennlampen. Ein Blick nach unten, in den Innenhof, gibt Werner Aufschluss darüber, dass der Führer ihn schon ungeduldig sucht. Der soll warten, Werner schaut sich alles in Ruhe und ausgiebig an und kehrt dann zu den Fahrzeugen zurück. Einige der Gruppe maulen ein wenig herum. Ihnen reicht es schon langsam mit Klöstern und Buddhas. Na, denen würden wir mal eine 35tägige Myanmar Reise empfehlen ;-) Zu guter Letzt fahren wir noch nach Stok, einem alten Königspalast. Es ist bereits später Nachmittag und der Palast liegt leider im Schatten. Wir setzen uns vor dem Palast in ein paar alte Korbstühle und genießen die weite Aussicht in das obere Indus Tal. Vor und neben uns liegen jede Menge Mani Steine. Mani Steine, von Pilgern in Stein gemeißelte Gebetsformeln in tibetischer Schriftsprache, sogenannte Mantras. Oft werden Mani Steine zu Steinhaufen oder bis zu mehreren hundert Meter langen Gebetsmauern aufgeschichtet. Die Gläubigen gehen davon aus, dass beim Passieren der Mani Mauern die Mantras zum Himmel aufsteigen. Man findet solche Gebetsmauern meist in der Nähe von Dörfer und Klöster. Gebetsmauern wie auch andere religiöse Bauten werden von Gläubigen immer von links passiert oder im Uhrzeigersinn umkreist. Nach dieser schönen Pause geht es zurück zum Hotel. Unser Führer bekommt noch ein wenig Trinkgeld Er hat uns zwar, genauso wie Max, nichts erklärt, aber er hat uns viel Zeit gelassen. Die Tour war eigentlich nur bis 16 Uhr geplant, wir kommen erst um 18 Uhr am Hotel an. Im Hotel angekommen treffen wir Max. Er hat Nachricht erhalten vom älteren Japaner. Dieser hockt immer noch in Manali, möchte aber ein Taxi mieten um sich mit uns wieder zu treffen und die Tour zu Ende zu fahren. Na, ob wir den noch mal sehen? Um 19 Uhr 30 wollen wir gemeinsam zum Abendessen gehen. Max hat Plätze in einem Luxusrestaurant (Ha, ha) für uns reserviert. Es sind 15 Minuten zu Laufen zum Restaurant Dreamland. Es ist absolut dunkel, da die Straßenbeleuchtung ausgefallen ist. Strom ist in ganz Indien immer so eine Sache. Im Dreamland angekommen, müssen wir erst eine steile, hühnerleiterartige Treppe hoch. Das ist jetzt also das 1a, super-duper Luxus Restaurant von Max, na ja. Das Restaurant ist voll mit Touristen. Heinz und der jüngere Japse sind verschwunden, Max macht sich auf die Suche. Hanjörg debattiert ewig lang mit dem Kellner, was er denn nun bestellen soll. Er nimmt dann das Beste um Magenprobleme zu bekommen, nämlich eine riesengroßes Hammelsteak. Einige bestellen Bier, das lustigerweise in Teekrügen ankommt und in Tassen serviert wird. Der Ober erklärt uns, dass der Nachschub nicht mehr funktioniert. Die Straße über den Rothang-Pass ist so verschlammt, dass die Bierlaster es nicht mehr hierher schaffen. Deshalb gibt es jetzt das letzte Bier aus Fässern. Steffi bestellt salted Lassi, das ist ihr lieber als das olle abgestandene Bier. Nach dem Essen machen wir uns als erste vom Acker. Wir gehen nicht den Weg zurück sondern schlendern noch ein wenig entlang. Die Straße wird immer dunkler und dunkler. Die Sterne funkeln. Die Straße führt direkt zum Hotel, aber leider von der Rückseite. Das Hotel ist durch eine hohe Mauer umzäunt, da kommen wir nicht drüber. Also müssen wir noch ein Stück weiter, vielleicht gelingt es uns ja irgendwie mal seitlich an der Mauer vorbei zu kommen. Es ist so dunkel, dass wir gar nichts mehr sehen. Wir erahnen ein kleines Gässchen, das die Mauer entlang hoch zum Hotel führt. Wir müssen jetzt nur noch um ein Loch herum, das sich vor uns auftut. Steffi tanzt dreimal um das Loch herum, es schaut wirklich sehr tief aus. Werner führt Steffi um das Loch herum und vorsichtig schleichen wir das Gässchen hoch. Das Gässchen endet direkt am Eingang des Hotels, prima.

Endlich finden wir den Hosenladen doch noch. Wir kaufen zwei Trekkinghosen für 1.400 Rupien, das sind umgerechnet 10 Euro. Zurück im Hotel wechseln wir gleich die Hosen. Leider hat die Wäscherei oberhalb des Hotels um die Mittagszeit geschlossen. Wir hocken uns gemütlich in den kleinen Hotelgarten und verspeisen genüsslich die Wassermelone. Danach möchten wir auf unser Hotelzimmer zurück, die neuen Hosen anziehen und die dreckigen zur Wäscherei bringen. An der Rezeption ist unser Zimmerschlüssel nicht auffindbar. Ein Hotelmitarbeiter hat das mit bekommen und sagt zu Steffi: „No, Mister - killing!“. Sie schaut ihn verdutzt an. Da er merkt, dass sie nicht verstanden hat, wiederholt er sicherheitshalber noch mal: „Killing, killing!“. Ah, jetzt versteht sie. Es ist Asian-English. Er meint „Cleaning“, also saubermachen. Das heißt, es ist jemand mit dem Schlüssel auf dem Zimmer und macht sauber. Na, dann ist’s ja gut. Inzwischen hat auch die Wäscherei wieder geöffnet. Wir bezahlen 110 Rupien für zwei Jeans und Steffis Fließpullover, umgerechnet macht das 1 Euro 75. Heute Abend um 18 Uhr können wir die Wäsche wieder abholen. Nun machen wir uns auf dem Weg zum Ancient Palast der 200 m über Leh thront. Oberhalb des Palastes, ganz oben am Berg steht ein rotes Gebäude, dort möchten wir hoch. Erst marschieren wir durch die Altstadt, dann versuchen wir den Weg zum Berg zu finden. Dies fällt nicht schwer, Leh ist nichts anderes als ein großes Dorf. Am Ortsrand angekommen sehen wir jede Menge von Fliegen und Flöhen übersäte, verwahrloste, schlafende Hunde. Die wollen wir auf keinen Fall wecken. Der Müll um die Häuser ist beachtenswert. Die Abwasserkanäle sind oben offen, es stinkt dementsprechend.

20. August 2008:
Heute fahren die anderen den Kardung La Pass ins Nubra Valley. Sie werden dort übernachten und wollen morgen, gegen 12 Uhr, wieder zurück in Leh sein. Da Werner noch nicht Motorrad fahren kann bleiben wir in Leh. Wir frühstücken mit der Gruppe zusammen als Max zum Frühstück eintritt. Aufgeregt wie ein nervöses Huhn gackert er herum. Christine fragt ihn, wie denn die heutige Strecke aussehen wird und wo sie heute schlafen werden. Er murmelt nur „…weiß ich jetzt auch nicht…“ in seinen nicht vorhandenen Bart und verschwindet gleich wieder nach draußen. Christine schaut ihren Mann Heinz an, dieser schmunzelt. Sie langt sich mit dem Zeigefinger ans Hirn. Ja, da hat sie recht. Inzwischen denken sich alle, dass es dieser Max nicht alle beieinander hat. Nach dem Frühstück starten die anderen. Mit blau-gelben, stinkenden Abgaswolken verlassen sie den Hof des Hotels. Wir stapfen ins Zentrum um uns zwei Hosen zu kaufen, da wir unsere zum Waschen bringen möchten. Wir haben gestern einen Laden gesehen, dort möchten wir hin. Leider laufen wir in die verkehrte Richtung, hoch zur Moschee. Dort suchen wir und suchen wir. Wir laufen am Markt vorbei und kaufen uns eine zwei Kilo schwere Wassermelone.

Jetzt geht es den Berg hoch. An einem Abzweig mit zwei kleinen Schildern: „Short-cut“ oder „Long-way“ nehmen wir den Long-way. Inzwischen hat es 28 Grad, das ist uns für den supersteilen Short-cut schon zu heiß. Außerdem sind wir auf 3.500 Höhe und beide nicht auf dem Damm, da sollte man mit seinen Kräften haushalten. Bis zum Palast, also ungefähr 200 Höhenmeter geht es moderat aufwärts. Ab hier steigen wir einen steilen Trampelpfad, der für uns Esel gerade noch breit genug ist, hoch. Wir schnaufen sehr, das müsste doch der Erkältung den Rest geben, oder?  Der Schweiß läuft in Strömen, das mögen die Bazillen überhaupt nicht. Alle 20 Meter halten wir an um uns die tolle Landschaft anzuschauen. Das ist natürlich nur ein Vorwand, in Wirklichkeit spüren wir die Höhe ungemein. Die Gebetsfahnen des Gipfels kommen näher. Endlich sind wir oben am Kloster. Von dort sehen wir die Fahrstraße, die auf den Kardung La führt. Dort sind die anderen heute Morgen drüber. Wir stehen auf einem großen Felsen. Vor uns geht es steil nach unten. Steffi traut sich einfach so bis ganz vorne an den Abgrund heran, Donnerwetter! Nach 20 Minuten Pause und einigen schönen Fotos steigen wir ab bis zum Palast.

Zum Abstieg wählen wir nun den Short-cut. Dieser wirklich steile Weg nach unten führt durch Ruinen von uralten Häusern und mitten durch ein kleines, baufälliges Kloster. Die Zunge hängt uns raus bis zu den Kniescheiben, so groß ist unser Durst. Es gibt noch ein (schöneres) Dachrestaurant in Leh: Das Leh-View Restaurant. Jetzt erstmal viel Trinken, jeder bestellt 1 Liter Wasser und noch eine Cola dazu. Das Essen kommt innerhalb 15 Minuten, prima. Danach suchen wir ein Reisebüro. Werner hat gestern ein Schild gesehen mit „Domestic flights“, also inländische Flüge. Wir gehen auf und ab, aber wir finden das kleine Reisebüro nicht mehr.

Stattdessen finden wir den Eingang in einen buddhistischen Tempel. Im ruhigen Innenhof hängen massenweise Gebetsfahnen. Einige Gläubige laufen um den Tempel herum, wir ihnen nach. Sie drehen verschieden große Gebetsmühlen, manche nur 20 cm, andere 3 Meter hoch. Im tibetischen Buddhismus werden Gebetsmühlen gedreht, um körperliche Aktivität und geistig-spirituelle Inhalte miteinander zu verknüpfen. Ein grundsätzliches Ziel dieser Handlung ist es, alle Aspekte der Lebenswirklichkeit, also auch einfachste körperliche Handlungen, wie das Drehen einer Gebetsmühle, in den Pfad zur Erleuchtung zu integrieren. Diese äußerlich betrachtet recht einfache Form der spirituellen Praxis dient nach buddhistischer Überzeugung dazu gutes Karma anzuhäufen. Mit der rechten Motivation ausgeführt wird bei der Drehung der Gebetsmühle der Wunsch gehegt, alle in der Walze befindlichen Mantras zum Wohle der fühlenden Wesen zu verwenden, deren Leid zu beseitigen und ihnen Glück bringen. Eine weiterführende Motivation dieser Praxis besteht darin, bei der Drehung der Gebetsmühle geistig zu projizieren, dass alle darin enthaltenen Mantras während des Drehens Licht zu allen fühlenden Wesen ausstrahlen, deren Leid beseitigen und schlechtes Karma auflösen. Im Tempel betet laut ein Mönch und schlägt dabei auf eine Trommel. Ein paar betende Menschen legen sich ganz flach auf den Bauch und beten in Richtung eines goldenen Buddhas. Zurück in der Hauptstraße stehen wir plötzlich doch vor dem Reisebüro. Auf unsere Frage sagt man uns, dass der Flug nach New Delhi 9.750 Rupien (150 Euro) kostet und täglich um 6 Uhr 50 morgens statt findet. Nun wissen wir Bescheid. Wir entdecken einen Telefonladen und rufen bei Steffis Mutter an. Danach holen wir unsere frisch gewaschenen Klamotten ab. Zurück im Hotel gibt es schwarzen Tee, das ist für Steffis Magen wohl das Beste. Wir sitzen im Garten und einige Inder gesellen sich zu uns. Einer hat einen langen Bart und einen noch längeren Turban. Wahrscheinlich ein Sikh. Die anderen sind eher modern, westlich angezogen. Wir kommen etwas ins Gespräch, wo kommst du her, wo gehst du hin usw. Sie sind aus Bombay und versuchen der dortigen Hitze zu entfliehen.

Plötzlich ertönt schrille, laute Musik. In einer Ecke haben sich vier Musiker, zwei Trommler und zwei Posaunisten, aufgebaut. Schnell werden davor ein paar Tische hingestellt und einige Stühle zusammengeschoben. Die Inder aus Bombay setzen sich sogleich an diese Tische. Es scheint, sie haben das für einen Freund organisiert, der heute Geburtstag hat. Nun treten auch noch Tänzer dazu auf, fünf Frauen und fünf Männer in verschiedenen Trachten. Die Inder lassen sich Schnaps dazu kommen, den sie aus normalen Wassergläsern trinken. Sie bieten auch uns etwas an. Nein danke, ohne Essen im Bauch mit dieser Erkältung, das haut uns bestimmt Tage zurück. Also machen wir uns von der Tanzfläche und gehen Essen. Heute soll es ins Penguin Restaurant gehen. Laut Reiseführer ist es das beste Restaurant in Leh. Heute haben wir sicherheitshalber die Stirnlampe mitgenommen, es soll ja doch das ein oder andere größere Loch hier in Leh geben ;-)  Das Penguin ist ein reines Gartenrestaurant, es gibt nur Plätze im Freien. Steffi ist ganz vorsichtig und bestellt sich nur eine Minestrone, Werner ein Gemüsegratin. Die Ober sind sehr nett und das leckere Essen ist schnell auf unserem Tisch. Werner schafft wieder mal nur die Hälfte. Nach dem Essen gehen wir den gleichen Weg von gestern Abend zurück zum Hotel. Erneut treffen wir auf die Stelle mit dem tiefen Loch, jedoch heute, mit Stirnlampe, sieht man: Das Loch ist gerade mal 30 cm tief. Im Hotel angekommen hören wir, dass der Präsident von Pakistan, Musharraf, zurück getreten ist. Das wird natürlich in Kaschmir unmittelbar zum Wiederaufflammen des alten Konfliktes beitragen. Morgen soll es ja Richtung Kaschmir gehen. Wir sind gespannt was uns Max morgen erzählen wird.

21. August 2008:
Nachts wachen wir einige Male vom Krach der Militärflugzeuge und Militärhubschrauber auf. Es waren bestimmt 50 Starts. Anscheinend verlegt das Militär mehr Truppen von Ladakh nach Kaschmir. So gegen 8 Uhr stehen wir auf und gehen Frühstücken. Da wir nun schon einige Tage hier sind, kennt uns der Ober inzwischen. Er ist aus Manali und kommt in den Sommermonaten nach Leh zum Geldverdienen. Er kriegt natürlich mit, dass Werner diese Erkältung hat und bringt uns deshalb unaufgefordert einen Fruchtsalat, ein paar kleingeschnittene Äpfelchen mit Bananen. Dazu gibt es Minze Tee, sehr lecker. Nach dem Frühstück stapfen wir los um zu sehen ob wir noch etwas für unsere Terrasse finden. Auf der Straße kommt uns ein Mönch entgegen. Wir schenken ihm unsere letzten beiden Brillen. Sicher kennt er jemanden, der die brauchen kann. Wir schlendern durch den Vietnamesenmarkt, da Steffi sich noch ein paar Slips kaufen möchte. So kommen wir in eine Straße in der wir noch nicht waren und finden dort in einem Laden einen schönen Ganesh für 30 US$. Dort gäbe es auch schöne Wandbehänge, aber leider nicht in der von uns gewünschten Größe. Jetzt ein wenig im Penguin Gartenrestaurant einen Snack genießen, das wär’ was, also los. Gleich neben dem Restaurant gibt es T-Shirts mit verschiedenen Mustern. Man kann sich das passende T-Shirt und Muster selbst zusammenstellen. Es wird an Ort und Stelle zusammen genäht – in 1 Stunde solle es fertig sein. Im Penguin versucht Werner mal die Minestrone und Steffi Vegetable Fried Rice. Werner zieht sich noch zusätzlich 2 Gläser frisch gepressten Wassermelonensaft rein, Vitamine pur. Wir genießen die Zeit ohne die anderen. Hier könnte man es wirklich aushalten. Im Garten sitzend hören wir ab und zu Düsenjets der indischen Armee starten. Sicher hat das etwas mit der aktuellen Lage in Kaschmir zu tun. Nach dem Essen holen wir unsere beiden Yak-T-Shirts ab, 570 Rupien, das ist okay. Es ist jetzt 12 Uhr und wir schlendern zum Hotel. Angekommen am Eingangstor des Hotels sehen wir, dass die anderen bereits zurück sind. Na so was, wer hätte das gedacht? Alle sind heil zurück und es hat ihnen gut gefallen im grünen Nubra Valley. Um 14 Uhr soll die Weiterfahrt sein nach Alchi. Dort wollen wir sehen wie es weitergeht. Ob wir bis Kaschmir fahren können ist noch unsicher. Um 13 Uhr 20 kommt Max schon langsam auf die Idee jetzt noch etwas essen zu müssen. Er geht mit einigen wieder ins Dreamland Restaurant. Wir sagen ihnen nicht, wie schön es im Penguin ist, denn sonst dauert es bis zur Abfahrt noch länger. Holm geht’s dreckig. Er ist stark erkältet und mit seinen Kräften am Ende. Er schläft auf einem Stuhl im Garten des Hotels ein. Wir bestellen uns noch eine Kanne Tee und warten bis die anderen zurück sind. Um 14 Uhr 30 ist die Meute zurück. Es folgt die Verabschiedung von Christine und Heinz. Sie kommen nicht mehr nach Kaschmir mit, da sie nur die 12 Tage Tour gebucht haben und morgen von Leh zurück nach New Delhi fliegen. Das Gepäck wird in die Begleitfahrzeuge verstaut und um 15 Uhr geht es los. Werner geht es Dank der Erholung in Leh und den vielen Vitaminen wieder besser und er entschließt sich zur Weiterfahrt auf dem Motorrad. Dafür nimmt Holm jetzt im Jeep seinen Platz ein. An der letzten großen Tankstelle in Leh tanken wir die Motorräder und Jeeps voll. Dann donnern wir raus aus Leh. Es hat fast 30 Grad. Die Landschaft ähnelt der Wüste: Ein karges, langgezogenes Hochgebirgstal mit Sanddünen. Hier wächst nichts mehr. Den Indus entlang geht unsere Tour nach Westen. Links neben der Straße geht’s steil mindestens 200 m zum Fluss hinunter. Steffi hat wegen dem Linksverkehr Schiss und versucht erneut von hinten mitzulenken.

Ein paar Fotostopps werden gemacht um in einer Schlucht zu fotografieren. Hier bläst der Wind sehr stark. In einer Kehre haut es uns fast um, so stark drücken uns die  Windböen in eine Richtung. Nach 65 km treffen wir in dem kleinen Nest Alchi, am Südufer des Indus, ein. Alchi liegt 3.700 m hoch inmitten eines Aprikosenhains. Wir fahren ein Gässchen bis zu unserem Hotel. Nachdem unser Gepäck im Zimmer ist, stapfen wir sofort los um noch etwas vom Kloster zu sehen. Vor dem Hotel gibt es ein paar Souvenirläden mit Schmuck und Masken. Zwei Mönche, die wir nach dem Weg fragen, begleiten uns zum Kloster. Das buddhistische Kloster in Alchi ist vermutlich das älteste in ganz Ladakh, es stammt aus dem 11. Jahrhundert und war einst ein bedeutendes religiöses und kulturelles Zentrum in Ladakh. Leider schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig, das Kloster hat um 18 Uhr seine Pforten geschlossen, schade. Na ja, Hauptsache Max hat in Leh noch gut gegessen. Wir gehen zurück zum Hotel und begegnen einer alten Frau. Das ist genau die Richtige für unsere mitgebrachten Gemüse- und Blumensamen. Wir schenken ihr ein Päckchen Radieschensamen, da diese in Ladakh so gut wir unbekannt sind. Die ganze Familie läuft zusammen. Wir erklären ein wenig was sie damit machen muss. Die Alte hat das gleich kapiert und lacht. Die hat bestimmt schon öfter in ihrem Leben etwas eingepflanzt. Zum Schluss erklären wir noch, dass man das rote, was dann dort dranhängen wird, essen kann. Schade, wir werden nie erfahren ob es geschmeckt hat ;-)  Um 19 Uhr 30 stapfen wir in den gegenüberliegenden Garten zum Essen. Der Sternenhimmel ist umwerfend. Nach dem Essen stehen wir noch auf dem Flachdach des Hotels und bewundern die Milchstraße. Ob es dort oben auch jemanden gibt, der so laut hustet wie Werner?

22. August 2008:
Beim Frühstück im Garten des Restaurants gibt es heute ein großes Hallo. Matsumoto San ist wieder da, der 73 jährige Japaner, den wir auf der Militärstation zurück gelassen haben. Er hat nach seiner Genesung ein Taxi in Manali gemietet und ist die ganze Strecke bis nach Alchi gefahren. Er meint, der Fahrer wäre Tag und Nacht durchgefahren. Für uns ist es gut, dass der alte Dackel wieder bei der Gruppe ist, da Max alles tut damit er sich bei dieser Tour wohlfühlt. Anscheinend ist er ein guter Kunde von Asia Bike Tours und Max wurde eindringlich geimpft ihn zufrieden zu stellen. Da Matsumoto San auch Buddhist ist, möchte er natürlich das Kloster von Alchi sehen. Prima, wir auch! Nach dem Genuss eines frisch gepressten Aprikosensaftes geht es los. Um 8 Uhr watschelt die ganze Gruppe zum Kloster, es sind ja nur 5 Minuten zu Laufen. Ein älterer Mönch kassiert Eintrittsgeld, ermahnt uns die Schuhe auszuziehen und bewacht sehr streng, dass niemand fotografiert, weder mit noch ohne Blitz. Das Kloster Alchi ist ein Juwel unter den Klöstern Ladakhs. Die fast 1.000 Jahre alten Tempel bergen einige der wertvollsten Kunstschätze im gesamten Westhimalaja. Berühmt sind die hervorragend erhaltenen Wandmalereien, die eine fast völlig untergegangene Kultur widerspiegeln – die Kultur des Königreiches von Kaschmir, die vor einem Jahrtausend in Ladakh dominierte. Der fast 5 m hohe Maitreya Buddha (des kommenden Zeitalters) wurde vom 1. Abt errichtet. Die Wände zieren Malereien aus dem 11. Jahrhundert mit Miniaturbuddhas. Eine Meisterleistung stellt das Holzportal dar, das nach der Vorlage nordindischer Hindutempel geschnitzt wurde. Holzschnitzereien sind an ladakhschen Tempeln eine Seltenheit. Das Kloster ist absolut sehenswert. Matsumoto San sagt, dass er vor 20 Jahren schon mal hier war und die Farben stark nachgelassen hätten. Eine gute Stunde brauchen wir um diese Kunstschätze anzuschauen.

 

Nachdem wir alles gesehen haben lassen wir die Motoren wieder rattern und fahren durch diverse Mondlandschaften den Indus entlang. Wir verlassen das Indus Tal in südlicher Richtung auf eine kleine Seitenstraße nach Lamayuru. Es geht über einen 3.800 m hohen Pass in steilen Serpentinen rauf und runter. Viele hundert Meter geht es steil nach unten. Die Lastwägen, die dort unten fahren sind ganz winzig von hier oben. Eine sehr abenteuerliche Strecke, die sich die Berge entlang windet und wohl die spannendste der bisherigen Reise. Alle jubeln vor Begeisterung. Nach einigen Fotostopps sehen wir das Kloster Lamayuru. Es liegt abgeschieden in grandioser Landschaft. Lamayuru hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Nach fast 1.000 jähriger Selbstherrschaft Ladakhs überfielen im 19. Jahrhundert die indischen Dogras das politisch geschwächte Ladakh und eroberten es. Die Folge davon waren die Konfrontation mit dem Hinduismus und dem Islam, Kunstraub und Zerstörung. Ladakh gehört seitdem zu den indischen Bundesstaaten Jammu und Kaschmir. Heute leben etwa 200 Mönche des Rotmützenordens in Lamayuru. Die Äbte von Lamayuru galten als Reinkarnationen des Großlamas Togdan Rinpotsche und stellten bis ins 15 Jh. vor allem die geistlichen Berater der Regenten von Ladakh. Sicherlich als Folge daraus genossen sie unter anderem das seltene Recht, alle Verbrecher von ihren Verfehlungen freisprechen zu dürfen, falls diese den heiligen Platz von Lamayuru unbeschadet erreichen konnten. Auch wir haben das Kloster unbeschadet erreicht und stellen am Eingang unsere Motorräder ab. Da sich der kleine Hunger angekündigt hat stürmen wir zuerst in ein Restaurant, das sich gleich am Eingang befindet. Wir bestellen und da wir wissen, dass das Essen mindestens 30 Minuten braucht, gehen wir in den Klosterinnenhof und umrunden einige Stupas. Zusammen mit ein paar Pilgern, die Gebetsmühlen drehend, auch die Stupas umrunden. Ein paar zahnlose Gestalten lassen sich fotografieren und bekommen dafür ein Tütchen mit Blumensamen. Wir kommen zurück ins Restaurant, gerade wurde die Suppe auf den Tisch gestellt. Steffi bekommt heute eh nur Immodium und Coca Cola – Mahlzeit. Nach dem Essen möchten wir endlich das Kloster anschauen, aber Max und ein paar andere müssen jetzt erst mal eine paffen. Wir sind jetzt einfach mal unhöflich, stehen auf und marschieren zum Klosterkomplex. Hanjörg kommt mit uns, er hat das ewige Rumgehocke in den Kneipen auch satt. Unterwegs ist kaum Zeit mal ein Foto zu schießen, aber nach dem Essen eine Stunde sitzen zu bleiben und blöd Löcher in die Luft zu schauen stellt für Max gar kein Problem dar. Im Hauptraum des Klosters sind soeben 6 Mönche beschäftigt ein Sandmandala zu erzeugen. Der bunte Sand rattert durch kleine Mühlen. Der Hauptraum bietet viele Sehenswürdigkeiten: Tangkas (Rollbilder auf farbiger Seide, die am Rand mit Säumen geschmückt sind), Buddhas und Gemälde. Zum Glück darf man hier alles fotografieren und filmen. Nach annähernd 20 Minuten im Kloster springen die Mönche auf und bitten uns den Hauptraum zu verlassen. Sie wollen jetzt in Ruhe Mittagessen und klick-klick ist die Klostertüre zugesperrt. Kaum ist zugesperrt erscheint auch schon Max. Er möchte jetzt, mit den anderen, das Kloster auch gerne besichtigen. Tja, so ein Pech aber auch! Wir denken, die Öffnungszeiten sind doch eigentlich das Mindeste was ein Führer wissen müsste, oder? Die anderen sind enttäuscht.

 

Also zurück zu den Motorrädern und weiter geht es. Die Straße windet sich auf den Fotu La, 4.100 m hoch. An einer Baustelle müssen wir halten. Matsumoto San hat das aber irgendwie nicht mitbekommen. Plötzlich stehen alle vor ihm, er zieht die Vorderradbremse und da liegt er auch schon auf der Nase. Zum Glück ist ihm nichts passiert. Ich habe mir vorgenommen, diese Strecke mit 73 Jahren nicht mehr zu befahren ;-) Es ist wenig Verkehr, nur ganz selten sehen wir andere Fahrzeuge. Desöfteren sind 40 cm hohe Bumper quer auf der Straße. Einmal schmeißt es uns fast wegen diesen ollen Dingern. Sie haben die Bumper nicht nur bei Orts Ein- oder Ausfahrten betoniert, sondern auch vor und hinter Haarnadelkurven. Das Ganze natürlich ohne Hinweisschilder. Die Landschaft ist großartig, aber der Wind bläst uns stark entgegen. Mit dem Wind wird jede Menge Dreck transportiert, den nun jeder schön dick auf seinem Gesicht hat. In Mulbekh, gegenüber einem 10 m hohen Felsenbuddha  machen wir eine Pause und trinken etwas. Steffi weiß gar nicht mehr was sie trinken soll. Sie hat immer noch Magenkrämpfe und Durchfall. Mulbekh bildet die Religionsgrenze zwischen dem buddhistisch-lamaistischen Osten und dem überwiegend islamischen westlichen Teil Ladakhs. Es sind noch 40 km bis Kargil, der ersten moslemischen Bastion auf dem Weg nach Kaschmir. Die Straße wird schlechter, die Landschaft aber grüner. Es geht nach unten.

 

Anstatt der Klöster sehen wir nun Moscheen. In einer langgezogenen Kurve sehen wir Kargil auf 2.650 m Höhe liegen. In Kargil ist die Stimmung anders, man bemerkt die angespannte Lage des seit vielen Jahrzehnten dauernden Kaschmirkonfliktes. Kargil liegt in einer Zone, die zu den kältesten der Erde gehört. Während im Sommer Temperaturen bis 35 Grad normal sind fällt das Thermometer im Winter auf unter 50 Grad minus. Die Stadtdurchfahrt ist chaotisch, großes Tohuwabohu. Die meisten Einwohner Kargils sind streng gläubige Moslems: Purki, also orthodoxe Schiiten. Die geistigen Führer von Kargil haben ein Verbot gemischtgeschlechtlicher gesellschaftlicher Aktivitäten durchgesetzt (z.B. Tanzen). Der Kaschmirkonflikt hat die Touristenzahlen so zusammenschrumpfen lassen, dass die meisten Hotels dicht machen mussten. So sind wir froh in unserem Hotel anzukommen und freuen uns, als wir unseren Zimmerschlüssel in Händen halten. Das mitten in der Stadt gelegene Hotel hat einen hohen Zaun und hinter uns wird das breite Eisentor auch gleich wieder zugemacht. Allah o akbar tönt der Muezzin vom Minarett. Nach der Dusche verkriecht sich Steffi gleich ins Bett, sie ist sehr müde. Werner geht mit den anderen um 19 Uhr 30 in den Speisesaal des Hotels. Es gibt frisches Gemüse, Reis, Bratkartoffeln, Nudeln mit Tomatensoße und Käse. Jeder schlägt ordentlich zu. Wir bestellen Bier aber die Ober schütteln nur den Kopf. Der Hotelchef bringt verstohlen unter seiner Schürze ein paar Flaschen Bier, die in Zeitungspapier eingewickelt sind. Wir sollen sie nicht auf den Tisch stellen sondern müssen sie schnell unter dem Tisch zwischen den Beinen verstecken. In ein Glas einschenken sollen wir das Bier am Besten nur verdeckt durch unsere Körper. Kargil ist Non-Alcohol-Area und er hat Angst, dass jemand von der Straße aus sieht, wenn hier Alkohol getrunken wird. Na gut, den Gefallen tun wir ihm natürlich.

23. August 2008:
Um 4 Uhr Nachts wird an der Tür geklopft. Heute geht es früh raus. Wir haben einen Weg vor uns, der nur zu bestimmten Zeiten befahren werden darf. Es soll heute über den Zoji La gehen, dem letzten hohen Pass unserer Reise und dem Eingangtor nach Srinagar. Der Zoji La kann nur wechselseitig einspurig befahren werden. Also raus! Das nötigste zusammenpacken. Es ist 4 Uhr 15 als in Kargil die Muezzine durchdrehen. Aus allen Himmelsrichtungen plärren sie auf uns herab: Allah o akbar. Es ist noch stockfinster als wir um 4 Uhr 30 die steile Treppe nach unten zum Frühstück tapsen. Langsam dämmert es und um 5 Uhr trauen wir uns loszufahren. In der Dunkelheit hier zu fahren ist kein Spaß. Manchmal gibt es Löcher, die sind 2 m lang und halb so tief. Außerdem funktioniert nicht bei jedem Motorrad das Licht, das macht die Sache nicht einfacher. Am Ortsausgang von Kargil müssen wir uns bei einem Kontrollposten abmelden und gleichzeitig für die Weiterfahrt anmelden. Das schmale Sträßchen windet sich die Berge hoch. Es wird nur sehr langsam hell. Mukesch will anscheinend schnell von hier weg, er gibt Gas. Anfangs versuchen wir noch hinterher zu kommen, aber bald geben wir das auf, da auch Sand auf der Straße liegt. Dann müssen sie eben erneut auf uns warten. Wir sind hier auf Urlaub und nicht auf der Flucht. So fahren wir eine ganze Weile alleine die schöne Strecke. Max hat uns verboten hier zu fotografieren. Irgendwie scheint Max und den Mechanikern die Gegend ein wenig unheimlich zu sein. Darüber hinaus kommt der Druck auch daher, dass wir um eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort auf der anderen Seite des Zoji La sein müssen. Dort wollen wir uns mit einem Offizier treffen. Aber erst geht es noch weiter nach oben. Ewig fahren wir durch ein grünes, langgezogenes Tal. Inzwischen ist es hell geworden aber die Sonne steht noch tief, so fahren wir die meiste Zeit im Schatten. Bei der nächsten Pinkelpause zieht sich Werner noch einen Pullover drüber, brrr. Landschaftlich ist es hier wunderschön. Schade, dass wir es so eilig haben müssen. Nach einer weiteren Militärkontrolle erfolgt die Auffahrt zum Zoji La, dem vier Dämonen Pass. Er ist mit 3.500 m nicht der höchste, aber sicher der aufregendste Pass der Strecke. Im Zickzack windet sich die nicht asphaltierte Straße den Berg hinauf. Er gilt als sehr gefährlich, da Steinschlag und Erdrutsche jedes Jahr viele Fahrzeuge in den Abgrund reißen. Der Pass ist nur 2 bis 3 Monate im Jahr geöffnet und selbst dann wegen Erdrutsch oft tagelang gesperrt. Gleich links neben der Straße geht es senkrecht nach unten, an einigen Stellen mehrere hundert Meter. Steffis Nerven machen das nicht mehr mit, ihr wird es nun doch zuviel. Werner hält an und Steffi fährt lieber im Jeep mit. Leider muss sie auf der linken Seite Platz nehmen, da der Fahrer rechts sitzt. Da der Fahrweg nicht viel breiter als der Jeep ist kann sie jetzt den Abgrund vom Jeep aus in voller Pracht genießen.

Wir fahren weiter. Beim nächsten Halt kurz nach der Passhöhe ist Steffi am Ende. Es geht derartig steil nach unten, das haut sie um. Sie schaut nach unten, wie tief es in die Schlucht geht und sieht nur den schmalen, engen Weg vor sich. Der Fahrer des Jeeps wundert sich, aber er kann sich schon vorstellen warum ihr die Tränen übers Gesicht kullern. Wir tuckern die Strecke mit den Motorrädern, schön hintereinander fahrend, nach unten. Mit dem Motorrad stellt die Strecke kein Problem dar, da wir ja einen Weg befahren, der sogar für einen Jeep breit genug ist. Schließlich schafft es jeder unbeschadet. Es tauchen die ersten Bäume auf. Die Straße wird nun besser und in schönen Kurven geht es viele Kilometer durch Wälder. Im Dorf Sonamarg fahren wir rechts in eine Kneipe, trinken Tee und essen Kekse und Pfannkuchen. Werner füttert Steffi mit einem trockenen Keks, das soll ihrem Magen und ihre Nerven wieder ins Lot bringen. Hier endet die Einbahnstraßenregelung. Wir warten auf den Offizier, der die Genehmigung für die Weiterfahrt durch Kaschmir bis Srinagar mitbringen soll und uns zur Sicherheit auch begleiten wird.

 

Nach langen 30 Minuten trifft der Typ ein. Man sieht es ihm nicht an. Er trägt keine Uniform, sondern ist westlich gekleidet, mit Sonnenbrille. Er fährt einen kleinen Daihatsu. Das ist meistens so, die Typen die etwas zu sagen haben sehen ziemlich unscheinbar aus. Sogleich geht es los, der Typ fährt voraus. Da ihn anscheinend alle hier kennen fahren wir bei vielen Kontrollposten einfach durch. Wir rollen ihm hinterher. Steffi traut sich jetzt auch wieder auf das Motorrad drauf. Die Gegend hier sieht original aus wie die Schweiz – fantastisch. Wenn wir nicht wüssten, dass wir in Kaschmir sind, würden wir wetten: Es ist die Schweiz. Nur sobald bunt angezogene Menschen über die Straße laufen merkt man den Unterschied. Leider können wir hier nicht anhalten um zu fotografieren. An einem Militärposten müssen wir anhalten. Der Offizier sagt zu allen, sie sollen auf der folgenden Strecke ja nirgends stehen bleiben. Bei der Weiterfahrt sehen wir links und rechts der Straße jede Menge Militär. Stark bewaffnet, sogar mit scharfen Handgranaten an den Gürteln hängend. Wir sehen wie ein Trupp von einem Dutzend Soldaten in ein Dorf marschiert. Die Gewehre tragen sie auf Anschlag in Hüfthöhe. Werner erinnert sich noch gut aus seiner Militärzeit was das bedeutet. So kann man schnell zurückballern, falls… Man merkt, dass hier die Luft brennt und dass es ab und zu mal kracht. Nur noch 60 Kilometer bis Srinagar. Uns tut schön langsam der Hintern weh, da wir heute fast pausenlos fahren. Er wird immer wärmer, die Landschaft ist grün, viele Blumen am Wegesrand. Die Hochgebirgslandschaft liegt nun endgültig hinter uns. Der Offizier hat sein Auto am letzten Kontrollposten stehen lassen und fährt nun Mukesch’ Motorrad, Mukesch fährt als Sozius mit. Wir fahren nur mit 20 bis 40 km/h durch die Gegend. So brauchen wir natürlich ewig für die Strecke. Manchmal rollen große Panzer vor uns her. Besetzt mit Militär der indischen Armee. An den geöffneten Lafetten schaut ein Kanonier heraus, das Maschinengewehr ist schussbereit. Vielleicht fahren wir deshalb so langsam? Es taucht ein Schild auf: Srinagar 30 km. Endlich, wir können kaum mehr sitzen. Hier beginnen die ersten Nester. Und heiß ist es hier außerdem. Dann: Srinagar 20 km, oh je, oh je, wenn wir weiter so langsam fahren, brauchen wir noch eine volle Stunde. Uns reicht’s schön langsam. Wir sitzen jetzt seit 8 Stunden fast pausenlos auf dem Motorrad, hochkonzentriert, die abenteuerlichste  Gebirgspiste und auch hier gibt es diese Drecks-Bumper, die die Fahrzeuge zum Bremsen zwingen sollen. Nur sind sie hier 50 cm hoch und ohne Hinweisschilder oder farbige Markierungen.

 

Einmal läuft uns ein fanatischer Typ von links, seine geballten Fäuste schwingend, vor das Motorrad. Er hat ganz offensichtlich etwas gegen motorradfahrende Ausländer. Werner überlegt kurz ob er den linken Fuß mal kurz rausstrecken soll, verzichtet dann aber besser auf die Konfrontation und weicht aus. Endlich am Nagin-See angekommen sehen wir die ersten Hausboote. Trotzdem fahren wir seitlich an diesem See vorbei. Über kleine Sträßchen und Seitengassen-Schleichwege findet Mukesch den Weg. Eine Zeitlang fahren wir an einer langen Mauer entlang, bis links ein Wellblechtor aufgeschoben wird. Dorthin tuckern wir alle. Dann noch über eine größere, unbebaute Fläche, abermals durch ein Tor, das auch hinter uns gleich wieder verschlossen wird. Ein guter Platz um eine Leiche zu vergraben, die würde hier niemand finden. Hier sollen wir in der Nähe des Dal-Sees sein? Weit und breit sehen wir weder See noch Hausboote. Wir nehmen unser Handgepäck und gehen zu einem schweren Eisentor. Hier kommt uns plärrend der Hausbootverwalter entgegen. Er freut sich offensichtlich, dass wir es bis hierher geschafft haben. Nach herzlicher Begrüßung verspricht er uns, dass wir nur noch 5 Minuten bis zu unseren Hausbooten laufen müssten. Na dann ist’s ja gut! Uns reicht’s auch für heute und alle schwitzen wieder aus allen Poren. Es geht einen Feldweg entlang, mit 5 m tiefen Löchern. Erneut durch ein Eingangstor und dann betreten wir den Vorgarten an dem die Hausboote liegen.

 

Was für ein Paradies! Im Garten ist zeltartig eine große, weiße, schattenspendende Plane aufgespannt. Darunter nehmen wir erstmal für den Begrüßungscocktail Platz. Im ganzen Garten blühen massenweise Blumen, auch Rosen. Weiß gekleidete Ober bringen uns Drinks und nur 10 m von uns entfernt sitzt ein Fischadler auf einem Pfahl und begrüßt uns mit lautem Gepiepse. Die Gepäckjeeps haben es natürlich wieder mal nicht geschafft mit uns anzukommen. Aber das ist schnurzegal wenn man im Paradies hockt ;-) Gleich werden die Hausboote verteilt. Wir beziehen mit Holm und Nico ein Hausboot mit eigenem Diener, Achat. Jedes Zimmer ist äußerst komfortabel, eher eine Suite, mit separatem Schrankzimmer und Bad mit Blick auf die Lotusblüten des Dal-Sees. Der  Dal See ist ein 21 km² großer See östlich der Stadt Srinagar auf einer Höhe von 1583 Metern. Srinagar ist Sommer-Verwaltungssitz des Bundesstaates Jammu und Kaschmir. Heute hat die Stadt etwa 940.000 Einwohner. Sie liegt am Fluss Jelum und ist über Kanäle auch mit dem Dal- und dem Nagin-See verbunden. Srinagar wird auch 'indisches Venedig' genannt. Der Dal-See liegt malerisch umgeben von Bergen des Himalajas, dem Karakorum. Wegen des Klimas war und ist die Gegend bei indischen und europäischen Touristen beliebt.

Die Hausboote gibt es bereits seit der englischen Kolonialzeit. Durch das Speisezimmer und die Bibliothek kommt man auf die geräumige Hausboot Veranda, die mit Matratzen und großen Kissen ausstaffiert ist. Am Rande des Hausbootes sitzen blaue Eisvögel (Kingfisher) und putzen ihr Gefieder. Auf dem Wasser unterhalb der Veranda blühen die Seerosen. In der Luft kreisen Fischadler. Wow! Das ist GENAU das, was wir uns nach den ganzen Strapazen verdient haben. Alle sind wie gelähmt, so schön ist es hier. Achat bringt uns ein paar Drinks auf die Veranda. Die Veranda liegt so zwei Meter über dem Wasser. Ab und zu kommen schwimmende Händler auf Shikaras vorbei und wollen uns Nüsse, Schokolade, Blumen, Seife oder sonstiges Zeug verkaufen. Da wir dadurch nicht schlafen können gehen wir auf unser Zimmer, machen den Deckenventilator an und pennen drei Stunden. Es ist 18 Uhr als wir bei Achat das Abendessen für 19 Uhr 30 ordern. Unser Gepäck ist immer noch nicht da. Wir haben inzwischen die Motorradhosen ausgezogen und uns die Badetücher rumgewickelt. Langsam geht die Sonne unter und taucht die Gegend und die Menschen, die noch auf ihren Booten auf dem See herumpaddeln, in malerisches Licht. Es wird fotografiert und gefilmt wie blöd. Am Rande des Hausbootes sitzen Graueisfischer und versuchen ihr Abendessen aufzuspießen. Als es dunkel ist lässt sich auch Max mal sehen. Er meint unser Gepäck ist frühestens spätabends da, wenn nicht sogar erst morgen Vormittag. Das Abendessen ist natürlich hier moslemisch geprägt, also nicht bunt gemischtes Futter wie bei den Hindus. Steffi isst heute mal wieder richtig. Werner bremst sie ein, da sie nun schon längere Zeit Durchfall hatte, wäre es wohl besser erstmal mit kleineren Portionen zu beginnen. Aber sie futtert und futtert. Achat bringt ein Töpfchen nach dem anderen. Damit könnte man 10 Leute satt kriegen. Nach dem Essen hat Steffi endlich mal keine Bauchkrämpfe, wie die Tage zuvor. Satt und zufrieden begeben wir uns in unsere Schlafgemächer. Nach einer Stunde Schlaf klopft es an unserer Türe. Es ist Achat. Er meint: Wenn wir möchten können wir das Ganglicht benutzen. Er zeigt Werner den Schalter des Ganglichtes, ah ja. Es ist erstaunlich für wie blöd man manchmal die Touris hält. Wir legen uns erneut hin und nach einer Stunde Schlaf klopft es erneut. Diesmal ist es Nico. Das Gepäck sei da. Rein in die Motorradhose und vor in den Garten. Tatsächlich, da liegt es. Das Gepäck wird zum Zimmer geschleift und wir duschen noch schnell. Dann geht’s ab in die Falle – hoffentlich klopft heute keiner mehr…